„Ich zeig es ihr! Ich bring die um!”
Wer im Jobcenter oder im Sozialamt arbeitet, der muss mit einem rauen Ton umgehen können. Das ist ein offenes Geheimnis. Dass allerdings Ananas-große Steine durch Fensterscheiben fliegen und sich manch Behördenangestellter lieber auf die Kollegen als auf die eigens eingestellte Security verlässt, das ahnen viele nicht. Hier lest ihr, warum das so ist.
Schon das Büro von Paulina Lut ist alles andere als zum Wohlfühlen. Es liegt versteckt am Ende eines kleinen Flures im sechsten Stock. Sollte sie aufgrund eines Angriffs fliehen müssen, hat sie schlechte Karten, denn in ihrem Raum liegt die Fluchttür auf der falschen Seite – nämlich vor dem Schreibtisch und nicht dahinter. Um aus dem Zimmer laufen zu können, muss sie hinter der Barriere hervorkommen, die sie notdürftig vor aufgebrachten Angreifern schützen soll. „Meine Alternative wäre, aus dem sechsten Stock zu springen“, resümiert sie trocken ihre Situation.
Nicht bei allen Kollegen ist die bauliche Situation derart ungünstig. Doch im Ernstfall kommt es darauf an, ob sie sich retten kann oder nicht. Und auch wenn Paulina taff mit aufbrausenden „Kunden“ umzugehen weiß, so fühlt sie sich trotzdem nicht immer wohl in solchen Situationen.
Beschäftigte fühlen sich als Freiwild
„Die Bereitschaft der Leute, uns zu drohen, wird immer höher. Mancher sieht die Beschäftigten hier als eine Art Freiwild. Man sucht sich seine Feindbilder und findet sie hier“, sagt die junge Frau, die täglich im Sozialamt Aachen ihren Dienst tut. Sie schockiert, dass nach dem Mord an einer Mitarbeiterin im Jobcenter in Neuss vor drei Jahren unter den Berichten Kommentare zu finden waren, die Verständnis für den Mord zeigten und den Übergriff nachvollziehbar fanden. Das ist für Paulina Lut verkehrte Welt.
Sie weiß von sich und ihren Kollegen, dass sie ihre Arbeit bestmöglich erledigen. Doch manchmal ist Ärger vorprogrammiert. Sie erinnert sich an eine Gegebenheit, bei der jemand an einem terminlich eng getakteten Tag noch dazwischengeschoben werden wollte. Der Jobsuchende setzte sich mürrisch auf den Flur, um zu warten. Jedes Mal, wenn Paulina Lut zum Kopierer auf den Flur ging, pöbelte er sie an und beleidigte sie. Mit einem Mal droht die Situation vollkommen umzukippen. Er blafft: „Wenn die nicht gleich will, wie ich will, dann zeige ich es ihr. Ich bring die um!“
Auch Wartende auf den Fluren sind in Angst
Eine andere Besucherin, die mit einem Kind ebenfalls im Flur wartet, schaut verängstigt. Ihr Kind beginnt zu weinen. Paulina Lut versucht die Situation mit einem kurzen: „Ich bin sofort für Sie da“ zu deeskalieren, doch es gelingt ihr nicht. Plötzlich steht der Mann dicht vor ihr und macht eine ausholende Handbewegung. Die Jobcenter-Mitarbeiterin schafft es, die Security des Hauses herbeizurufen. Auch drei Kollegen kommen dazu. „Da erst hat der, glaube ich, gemerkt, dass er auf dem falschen Weg ist“, erinnert sie sich an den bedrohlichen Moment. Was sie nach dem Ereignis am meisten ärgert, ist, dass sie nicht mal ein Hausverbot gegen ihn erwirken konnte.
Besonders bedrohlich finden es auch die anderen Beschäftigten des Jobcenters, wenn sie mit Menschen zu tun haben, von denen sie wissen, dass sie gerade erst aus dem Knast gekommen sind, wo sie eine Haftstrafe wegen schwerer Vergehen absitzen mussten. Gegen solche Besucher wirken die, die am Telefon laut werden, geradezu unproblematisch. Wer sich das als Beschäftigter zu sehr zu Herzen nimmt, der kann mit Situationen, in denen Ananas-große Steine durchs Sicherheitsglas im unteren Geschoss geworfen werden, gar nicht klar kommen. Knapp fliegen sie an einem der Kollegen im Jobcenter vorbei. Der Krawall ruft nicht nur die Beschäftigten der umliegenden Büros auf den Plan. „Geh rein, sonst bist du der nächste, der es abbekommt!“, schreit der Randalierer dem herbeigeeilten Security-Mann entgegen. Das ist traurige Realität in deutschen Amtsstuben.
Security bezieht manchmal selbst aufstockende Leistungen
Nicht mal auf die Security-Leute ist immer Verlass. Manche sind als Aufstocker selbst in finanziell schwierigen Situationen und auf Mittel des Jobcenters angewiesen. Sie sympathisieren manchmal mit den pöbelnden Besuchern, sagt man uns. „Ich habe mich bislang immer mehr auf die Kollegen verlassen als auf die Sicherheitsleute“, räumt auch Paulina Lut ein. In einer brenzligen Situation soll einer der Sicherheitskräfte entgegnet haben: „Was soll ich denn tun? Soll ich mich dann zwischen euch werfen?“ Solche Aussagen irritieren viele der dort Beschäftigten. So etwas ist keine Hilfe in Situationen wie einer solchen, in der ein Mann einer Mitarbeiterin droht: „Ich hab meiner Frau auch schon zwei Zähne ausgeschlagen.“
Bei solchem Auftreten findet Lut den Dienstleistungsgedanken vollkommen unangebracht. Stattdessen wünscht sie sich wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen regelmäßige Deeskalationstrainings und auch den Rückhalt des Arbeitgebers. Doch daran mangelt es häufig.
Es fehlen klare Eingriffsmöglichkeiten
Was sie gerne ändern würde, wenn sie könnte, wollen wir wissen. Paulina Lut weiß es ohne lange nachzudenken: „Es sollte häufiger Anzeigen geben und geschulte Security-Leute mit klaren Eingriffsmöglichkeiten. Es sollte Hausverbote geben, die auch übergeordnet bei anderen Behörden registriert werden, damit Randalierer und Übergriffige nicht aus dem Jobcenter rausfliegen und dann ins Bürgerbüro reinmarschieren und dort gleich weitermachen.“
Ebenfalls unklar ist, welche Zuständigkeiten und Regelungsmöglichkeiten der Einzelne hat. „Welche Verbote darf ich aussprechen? Wenn jemand von mir verwiesen wird und er geht nicht, was mache ich dann?“ Solche Fragen stellen sich viele Beschäftigte. Sie bleiben unbeantwortet, weil die Politik die Zuständigkeiten hin- und herschiebt und niemand das schwierige Thema übergeordnet anfasst.
In Aachen wurde nach einem Zwischenfall mit Geiselnahme vor einigen Jahren das sogenannte „Aachener Modell“ entwickelt. Es hat die Bewältigung von Bedrohungen und Übergriffen zum Thema und setzt sich über viele Seiten Papier genau damit auseinander. Doch es hat nach Luts Auffassung ein entscheidendes Manko: „Es wird nicht gelebt.“