Podiumsdiskussion: Wie Hate Speech uns verändert
Schimpfworte, Beleidigungen, Herabwürdigungen – der Ton ist rauer geworden. Ist es eine Minderheit, die schikaniert? Oder hat sich etwas verändert in dieser Gesellschaft? Darum ging es in einer Podiumsdiskussion der dbb jugend nrw, an der unter anderem Wolfgang Bosbach teilnahm.
„Ich war sechseinhalb Jahre an der ‚Front‘, in der Zulassungsstelle – dort, wo Leute oft grundlos ausrasten.“ Mit diesen Worten eröffnete Moritz Pelzer von der dbb jugend nrw die Diskussionsrunde, die anlässlich des 19. Landesjugendtages Ende April in Bergisch Gladbach stattfand. Gekommen waren neben dem Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach auch Medienpädagoge Matthias Felling, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes Simone Fleischmann und die Leiterin des Forums Demokratie Düsseldorf Wiltraud Terlinden.
Dass Menschen oft grundlos ausrasten, erlebt man inzwischen überall: in Bussen und Bahnen, in Schulen, auf der Straße und in Behörden. Die Zulassungsstelle steht da exemplarisch für viele Bereiche des Öffentlichen Dienstes. Sich täglich bei der Arbeit beschimpfen zu lassen, ist dort für viele zur bitteren Realität geworden.
Beschäftigte sind kein Freiwild
„Uns geht es um Nötigung und Beleidigung. Wir sind kein Freiwild für Bürgerinnen und Bürger. Wir sind kein Opferlamm“, betonte Sandra Kothe, Vorsitzende der dbb jugend, im Vorfeld der Diskussionsrunde stellvertretend für die vielen Kolleginnen und Kollegen im Öffentlichen Dienst. Darum setzt sich auch die Politik mit dem Problem auseinander. Beschimpfungen und ein verletzender Umgangston greifen jedoch nicht nur in Behörden um sich, sondern auch in den sozialen Netzwerken und im Internet. „Worte können mehr anrichten als einen einzelnen tief zu verletzen. Worte prägen unsere Wahrnehmung“, stellte der Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen, Franz-Josef Lersch-Mense, fest, der ebenfalls auf Einladung der dbb jugend nrw erschienen war und zu Beginn der Veranstaltung eine Festrede hielt. Eine Minderheit könne den Ton so vergiften, dass andere Meinungen untergehen, so der Minister.
Von solchen Erfahrungen berichtete auch Wolfgang Bosbach anlässlich des Mottos „Gewalt beginnt mit Worten: Sprache von heute bestimmt das Handeln von morgen“, das sich die dbb jugend nrw für ihren Landesjugendtag gesucht hatte. Von 10.000 Zuschriften, die Bosbach im Jahr erhalte, sei es ein kleiner Teil, der ausfallend sei. „Dort aber lese ich Vokabeln, von denen ich vorher nicht wusste, dass es sie gibt“. Das beobachtet auch Moritz Pelzer: Sprache sei roher geworden. Vieles gehöre heute zum Alltagsjargon, für das er in seiner Kindheit von den Eltern noch einen Rüffel bekommen hätte. Auch sei die Hemmschwelle gesunken. Das Problem: Aus Worten folgen oftmals Taten. Dafür hat der Neurowissenschaftler Joachim Bauer wissenschaftliche Hinweise gefunden.
In der Schule Haltung zeigen und Demokratie stärken
In diesem Sinne warb Simone Fleischmann, von Hause aus Lehrerin, dafür, Haltung zu bewahren und Schülerinnen und Schülern erfahrbar zu machen, streitbar zu sein. „Wir sind als Lehrer mehr denn je aufgerufen, die Demokratie gemeinsam mit den Schülern zu schützen“, so Fleischmann.
Auch Wiltraud Terlinden verwies darauf, dass es wichtig sei, sich klar zu machen, wie man miteinander umgehen wolle, bevor man seine Worte wähle. Ihr Motto: „Werde gut darin, zwei Dinge auszudrücken: Was in dir los ist und was dein Leben schöner machen würde.“ Sie appellierte an die anwesenden rund 100 jungen Beschäftigten aus dem Öffentlichen Dienst bei verletzenden Gesprächen auch immer zu fragen, wie sich das aufgebrachte Gegenüber wohl fühle und was er von der Behörde erwarte. Das schärfe das Verständnis füreinander.
Im Netz ist die Schwelle zur Beleidigung niedriger
Medienexperte Felling hat bei seiner Arbeit in Schulklassen die Erfahrung gemacht, dass er die Wahrnehmung für Worte und Beschimpfungen durch eine ganz einfache Übung schärfen könne: „Ich habe in der Klasse Zettel mit schlimmen Wörtern verteilt, die die Schüler erst für sich lesen sollten.“ Da hätten einige gegrinst. Danach forderte er die Schüler auf, die Wörter vorzulesen. Das sei den Betroffenen schon schwerer gefallen. Ganz schwierig sei es den Kindern bei der dritten Aufgabenstellung gefallen: sich in Zweiergruppen die Begriffe gegenseitig ins Gesicht zu sagen. Genau darin liege der Unterschied zur anonymen Hate Speech, die in Netzwerken und Foren die Runde mache, so Felling.
Doch viele bedenken nicht, was sie mit ihren sprachlichen Ausfällen beim Gegenüber anrichten. Die dbb jugend nrw will sich darum auf verschiedenen Ebenen weiterhin für einen besseren Umgang miteinander einsetzen. Denn Sprache von heute bestimmt das Handeln von morgen. Ein Schritt dorthin ist die Unterzeichnung eines Manifestes gegen die Verrohung von Sprache, das der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband auf den Weg gebracht hat.