Übergriffe gegen Kita-Personal: Was Erzieherinnen im Alltag erleben
Arbeiten mit kleinen Kindern, basteln, heile Welt – so stellen sich viele die Arbeit von Erzieherinnen in Kindertageseinrichtungen vor. Die Realität sieht aber oft anders aus: Unangemessenes Verhalten, Beschimpfungen oder gar Verfolgung bis ins Private sind die Spitze des Eisberges.
„Fick dich ins Knie, Alte!“ – Kinder können distanzlos sein. Wie sehr, erleben Erzieherinnen in ihrer täglichen Arbeit. Dreijährige, die sich vor ihnen aufbauen und kundtun, sie hätten ihnen gar nichts zu sagen – solche Erlebnisse schildern die zwei Erzieherinnen Tanja Leitsch und Susanne Schnieder in dem Buch „Die Rotzlöffel-Republik“. Doch bei schimpfenden, kratzenden und beißenden Kindern bleibt es nicht. Auch die Begegnung und Arbeit mit den Eltern gestaltet sich in der täglichen Arbeit immer schwieriger.
Wie sehr, das hat Johannes Jungbauer vom Institut für Gesundheitsforschung und Soziale Psychiatrie der Katholischen Hochschule Aachen erforscht. Das Ergebnis seiner Studie: Jede fünfte Erzieherin in Nordrhein-Westfalen gab an, erschöpft und ausgebrannt zu sein. Rund die Hälfte von ihnen bekam vom Arzt die Diagnose Burn-out. Auch Susanne Schnieder, die als Leiterin einer Kita unter einem Pseudonym schrieb, legte ihr Arzt nahe, aus gesundheitlichen Gründen zu kündigen, berichtete sie dem NDR.
Stressbelastung höher als in anderen Berufen
Erzieherinnen, denen die Belastung bei der Arbeit zu viel wird, sind kein Einzelfall. Ein weiteres Ergebnis der Jungbauer-Studie: Erzieherinnen und Erzieher fühlen sich deutlich stärker durch beruflichen Stress belastet als der Durchschnitt der Arbeitnehmer. Als Ursache dafür nannten die mehr als 830 befragten Erzieherinnen neben schlechten Betreuungsschlüsseln und kollegenbedingten Krankheitsausfällen auch die Elternarbeit. Diese gestaltet sich zunehmend schwieriger. Die Ansprüche vieler Elternhäuser an die in Kitas zu leistende Arbeit werde immer höher. Wenn Eltern ihren Forderungen und Vorstellungen Nachdruck verleihen, dann endet das immer häufiger in einem Übergriff. Beleidigungen wie „Die sind völlig unfähig!“ sind eher noch von der harmlosen Sorte.
Eines der Probleme in solchen Situationen: „Passiert so etwas, sind die Erzieherinnen oft alleine in der Situation mit den Eltern“, sagt Hannelore Koll-Levas vom Personalrat der Stadt Bonn. Sie betreut den Fachbereich der Kitas und ist darum bestens darüber im Bilde, was dort passieren kann. In Bonn hat man auf die zunehmende Zahl von Übergriffen gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst reagiert und eine Anti-Gewalt-Kampagne gestartet. Diese sieht zahlreiche Maßnahmen vor, die zum Teil durch Schulungen präventiv greifen und teils auch in einem Maßnahmenplan münden, der nach verbalen oder körperlichen Übergriffen einen Leitfaden gibt, um den Betroffenen zu helfen und die Vorfälle zu dokumentieren.
Erst Wutausbrüche, dann Verfolgung
„Ich kann mich erinnern, dass eine Mutter in der Einrichtung vollkommen ausrastete, weil ihr Kind mit einem Kind anderen Glaubens gespielt hatte“, sagt Sarah Plattner (Name von der Redaktion geändert). Bei solchen Wutausbrüchen wurde auch sie selbst schon zum Opfer. „Die Mutter hat mich wüst beschimpft“, sagt sie. Eine andere Situation eskalierte derart, dass ihr die Familie auflauerte und sie verfolgte. Bis sie die Polizei rief.
In solchen Fällen gibt es in Bonn verschiedene Möglichkeiten. Wichtig sei zunächst zu klären, ob die Erzieherin damit alleine fertig werde, sagt Koll-Levas. Denn bei allem Willen zur Hilfe sei dies nicht immer nötig oder gewünscht. Wurde die Erzieherin angegriffen, ist sie täglich der Gewalt ausgesetzt, wie kann man helfen? Diese Fragen stehen am Anfang aller Maßnahmen, die auf dem Dienstweg angestoßen werden können.
Mitarbeiter schützen – ein Lösungsvorschlag aus Bonn
In den Einrichtungen liegen Merkblätter zur Mitarbeitersicherheit aus. Auf ihnen ist ein 5-Punkte-Notfallplan beschrieben. Manchmal kann auf Wunsch der Betroffenen auch ein Hausverbot für die beleidigende oder angreifende Person ausgesprochen werden. In verschiedenen Aktionsstufen kann der Arbeitgeber den Mitarbeiter dadurch unterstützen, dass er beispielsweise den Vorfall intern erfasst.
Er wird dann automatsch auch bei der Stabsstelle Gesundheit gemeldet. Damit ist dokumentiert, wann und wo etwas geschehen ist, um welche Art von Vorfall es sich handelt – Belästigung, Sachbeschädigung, Bedrohung – wer in den Vorfall verwickelt war, wie genau der Übergriff von statten ging, ob eine Waffe benutzt wurde und ob der Vorfall zu einer Arbeitsunfähigkeit führte. Auch welche Maßnahmen ergriffen wurden – wurde beispielsweise die Polizei gerufen oder ein Hausverbot ausgesprochen – ist dort dokumentiert. Neben der Meldung an die Stabsstelle wird auch der Personalrat über den Vorfall informiert.
Passiert etwas, greift ein Netzwerk
„In den Einrichtungen hängt eine Grundsatzerklärung gegen Gewalt“, sagt Koll-Levas. Damit will die Kommune nach außen dokumentieren, dass sie respektloses Verhalten nicht duldet. Was sich grundlegend verändert hat: Jeder weiß dort nun, in welchem Fall man auf welches Netzwerk zurückgreifen könne. „Hier muss niemand mehr lange selbst versuchen, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist“, sagt Koll-Levas.
Was sich allerdings auch dadurch nicht immer verhindern lässt: dass das Angebot nicht passgenau ist oder Wege zu lange dauern. Es kann immer eine Weile dauern, bis Notfallpläne greifen, auch wenn sie fertig in der Schublade liegen. Dadurch kann es in zeitlich unmittelbarer Nähe zu einem Vorfall trotzdem dazu kommen, dass Mitarbeiter das Gefühl haben, alleine zu sein.
Ein weiteres Problem, das sich auch durch gute Notfallpläne nicht beseitigen lässt: Manche Einrichtungen liegen in sozialen Brennpunkten, andere hingegen nicht. Alleine aufgrund solcher Gegebenheiten sind manche Erzieherinnen mehr unter Beschuss als andere.