Was in Bonn nach immer mehr Übergriffen geschah
23.11.2017 | Gute Ansätze

Was in Bonn nach immer mehr Übergriffen geschah

In der Asylstelle spielt jemand öffentlich und provokativ mit einem Messer. Ein anderer kündigt über Facebook einen Amoklauf an. Zwischenfälle, die die Beschäftigten bei der Stadt Bonn in Angst und Schrecken versetzten, gab es einige. So hat man in Bonn darauf reagiert.

 

Erschütterung bei den Mitarbeitern im Rathaus. Morgens stürmt eine Hundertschaft die Flure. Der Grund: Ein Mann hatte über Facebook einen Amoklauf angekündigt. Er wolle alle bestrafen, so wie der IS es machen würde, so seine Drohung. „Er kam tatsächlich“, erinnert sich Ninja Kernig, Personalratsmitglied aus Bonn. Passiert ist dank des Polizeischutzes nichts, doch die Erschütterung saß tief.

 

Anspannung, denn fast jeder weiß von einem Übergriff

 

Solche Ereignisse bilden die Spitze des Eisbergs. Sie passieren glücklicherweise nicht täglich. Das heißt aber nicht, dass in der Zeit zwischen solchen extremen Vorfällen die Mitarbeiter in Ordnungsämtern, Ausländerbehörden oder dem Bürgerbüro entspannt ihrer Arbeit nachgehen könnten. Spricht man sie an, weiß beinahe jeder eine eigene Geschichte der Eskalation zu erzählen.

 

So wie im Stadthaus. Es ist März. In den frühen Morgenstunden betritt ein Mann das Foyer und erkundigt sich nach den Toiletten. Die Mitarbeiterin bittet ihn, die WCs im ersten Stock aufzusuchen. Die anderen wurden zu der Zeit noch gereinigt. Grund genug für den Besucher auszurasten. Er beugt sich über den Tresen der Information und traktiert die Mitarbeiterin mit dem Telefonhörer. Über ein anderes Telefon gelingt es der Beschäftigten, die Polizei zu alarmieren. Seitdem sitzt an der Information ständig eine Security. Der Tresen wurde umgebaut und mit einem Glasschutz versehen.

 

Personalrat und Verwaltungsspitze stoßen Veränderungen an

 

Derartige Vorfälle häuften sich auch in Bonn derart, dass Verwaltungsspitze und Personalrat nicht länger zusehen wollten. Sie bildeten eine Projektgruppe, die sich eigens um das Thema kümmerte und verabschiedeten dann im März 2017 eine Grundsatzerklärung gegen Gewalt. Das Besondere daran: Diese Erklärung verschwand danach nicht in den Schubladen, sondern man setzte ein großes Maßnahmenpaket daneben und schrieb damit die Sicherheit der Mitarbeiter groß.

 

„Unserem Oberbürgermeister war es von Anfang an wichtig, dass die volle Unterstützung von den Dezernenten, Amtsleitern und der Verwaltungsspitze kommt“, sagt Ninja Kernig. Sie ist als Personalratsmitglied auch Mitglied der Projektgruppe für dieses Thema. Seitdem allen Mitarbeitern klar ist, dass in kritischen Situationen Unterstützung zu erwarten ist, fühlen sie sich bestärkt.

 

Mitarbeiter melden Übergriffe über Intranet

 

„Jeder Mitarbeiter kann einen Vorfall über das Intranet melden“, sagt Kernig. Diese Meldungen erreichen die Stabsstelle Gesundheit. Seitdem ist klar, wie viele Vorfälle es wirklich sind. „Die Mitarbeiter sind sensibilisiert, dass sie sich auch vermeintlich ‚kleine Dinge‘ wie Beschimpfungen nicht gefallen lassen müssen“, sagt Kernig. Vorfälle, die gemeldet werden, verlaufen nicht im Sande. Es gibt Handlungsempfehlungen, die sich eng am Aachener Modell orientieren und festlegen, welche Stellen zu beteiligen sind. Damit sei ein Netz erstellt, das sicherstelle, dass Zwischenfälle nicht auf dem Dienstweg hängen bleiben, sondern eine Lösung gefunden wird und dem entsprechenden Mitarbeiter geholfen wird.

 

Das kann zum Beispiel eine Unfallanzeige sein, die dem Betroffenen über die Beteiligung der Unfallkasse fünf probatorische Sitzungen bei einem Psychotherapeuten ermöglicht. Da diese Regelungen für Beamte nicht greifen, wird derzeit noch geklärt, wie man dort für Abhilfe sorgen kann. Für die Begleitung nach brenzligen Situationen sollen Mitarbeiter als Erstbetreuer geschult werden. Sie könnten dann Betroffene auch mit zum Arzt oder bis nach Hause begleiten.

 

Jeder weiß jetzt, was zu tun ist

 

Nicht alle dieser Maßnahmen wurden „neu erfunden“, wie Kernig sagt. Vieles war schon zu Teilen vorhanden, aber dann etwa nicht in allen Bereichen installiert. Oder einzelne Angebote waren nicht miteinander vernetzt. Das ist nun anders. Dank der Handlungsempfehlungen ist in jeder Situation klar, wer wann was zu tun hat und wie es danach weitergeht.

 

Beispiel Hausverbot: Auch vorher wussten die meisten schon um die Möglichkeit, Hausverbote aussprechen zu können. Vollkommen unklar sei aber gewesen, wer das in welcher Situation für wie lange tun dürfe. Das hat die Projektgruppe nun klären können. Gemeinsam mit dem Personalamt und der Rechtsstelle hat man besprochen, ob diese als probates Mittel gegen Ausraster fungieren können. Darüber hinaus hat man sich mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung gesetzt. Denn Problem hier: In der Vergangenheit wurden Anzeigen von Verwaltungsmitarbeitern nach Übergriffen eher nachrangig behandelt und wegen Geringfügigkeit eingestellt, so das Gefühl vieler Beschäftigter. Durch das Gespräch ist die Staatsanwaltschaft nun sensibilisiert und nimmt solche Anzeigen besonders ernst. In Zukunft sollen nun auch behördenintern Pöbeleien und Beleidigungen konsequent angezeigt werden.

 

Taschenkontrollen und Handscanner können entschärfen

 

Eine weitere Konsequenz: Nachdem im Flur des Asylamtes ein Besucher provokativ sein Messer gezogen und damit gespielt hatte, werden dort künftig Taschenkontrollen durchgeführt. Außerdem kommen ab Dezember Handscanner in den Eingangskontrollen zum Einsatz. Zudem will man dort mehr Security einsetzen. Daneben gibt es im Ausländeramt, im Stadthaus und im Rathaus in Beuel mit Notrufknöpfen eine weitere Verbesserung. Über sie sind die kommunalen Mitarbeiter direkt mit der Polizei verbunden. Soll nicht gleich die Polizei auf den Plan gerufen werden, haben die Beschäftigten zudem die Möglichkeit, über das Telefon intern Kollegen zu Hilfe zu rufen.

 

Doch trotz Ausstattung des Ordnungsdienstes mit Schutzwesten und Schlagstöcken und baulichen Verbesserungen – wie beispielsweise an der Infotheke im Bürgerhaus – weiß man auch in Bonn: „Den absoluten Schutz gibt es nicht. Jüngst wollte ein Kunde in der Leistungsabteilung mit dem Kugelschreiber auf einen Kollegen losgehen“, sagt Kernig. Dennoch haben hier alle verstanden, dass die Sicherheit der Mitarbeiter den höchsten Stellenwert hat.

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