Für Bürgermeister Lierenfeld bleibt es auch nach den Online-Angriffen wichtig, im Bürgerdiolog nah an den Menschen zu bleiben
24.09.2021 | Betroffenenberichte

„Es war eine Heuschreckenplage, die über einen herfällt“

Nicht nur Angriffe auf Ordnungsamtsmitarbeiter haben in der Corona-Krise zugenommen – auch Attacken, die sich gegen Kommunalpolitiker richten. Erik Lierenfeld, Bürgermeister der Stadt Dormagen, kann aus eigener Erfahrung davon berichten. Aber auch davon, was er dem in Dormagen entgegensetzt.

 

1.674 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger zählt das Bundesinnenministerium in einer Analyse allein im Jahr 2019. Im Jahr davor waren es noch 33 Prozent weniger. 72 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland berichten darüber, während der Corona-Krise schon einmal beleidigt, beschimpft, bedroht oder sogar körperlich angegriffen worden zu sein. Das kam bei einer Umfrage des Magazins „Kommunal“ im Auftrag des ARD-Politmagazins „Report München“ zu Tage. Im Jahr davor waren es noch 64 Prozent. Die Lage spitzt sich zu. Das musste auch Erik Lierenfeld, Bürgermeister der Stadt Dormagen, erfahren.

 

Diskutieren gehört dazu – angreifen nicht

 

Seit 2014 ist er hauptamtlich Stadtchef in Dormagen. Fünf Jahre arbeitete er schon ehrenamtlich als stellvertretender Bürgermeister. Ein Amt sehr nah am Menschen, wie er selber sagt. Man trifft Menschen auf dem Marktplatz, diskutiert mit Bürgern in Foren oder am Rande von Veranstaltungen. Lierenfeld schätzt das als ein Stück offene Demokratie. „Ich habe erlebt, dass man Argumente austauschen kann und trotzdem zum Schluss nicht einer Meinung ist“, sagt er. Das gehört dazu.

 

So war es auch während der Flüchtlingskrise. Kommunalpolitiker wurden von Teilen der Bevölkerung kollektiv verantwortlich gemacht für das, was aus Sicht der Zürnenden in Deutschland schief läuft. Doch auch wenn in diesen Zeiten die Atmosphäre aufgeheizter war, kam es auch in dieser Zeit zumindest in Dormagen zu keinem Angriff. „In allen Jahren meiner Amtszeit gab es nur eine einzige Situation, in der ich intuitiv einen Schritt zurückgetreten bin. – In einem Gespräch mit einer psychisch kranken Person.“ Zu einem Übergriff sei es aber auch da nicht gekommen.

 

Shit-Storm nach Video in der Pandemiezeit

 

Vollkommen anders allerdings stellte sich für Lierenfeld die Situation im Dezember 2020 dar. In einem Instagram-Video hatte er sich zum Maskentragen in der Pandemie geäußert. An die nun folgenden drei Wochen erinnert er sich noch genau: Mitglieder der Querdenker-Szene lassen einen Shitstorm auf ihn niederprasseln.

 

„Es war wie eine Heuschreckenplage, die über einen herfällt“, sagt er. Hunderte von E-Mails aus der ganzen Republik, aber auch aus dem Ausland – wie beispielsweise Österreich – gehen bei ihm ein, Instagram-Kommentare reihen sich unter das Video, das Bürgermeistersekretariat wird mit Dutzenden von Anrufen geflutet. Angriffe auf seine Person sind dabei, Beleidigungen und auch Morddrohungen.

 

Die Angriffe und Drohungen bringt Lierenfeld zur Anzeige und wendet sich an das Innenministerium. Zur Anzeige bringt man in Dormagen jeden Vorfall, bei dem Bürger ausrasten und Kommunalbeschäftigte angreifen. „Wir stehen hier für Null-Toleranz-gegen-Gewalt“, sagt der Stadtchef. Ganz gleich, ob verbale oder körperliche Gewalt, Angriffe im wirklichen Leben oder virtuell – man dürfe nicht darüber hinweggehen. Zumal die Täter nach Erfahrung Lierenfelds immer sorgloser auch im Netz mit Klarnamen pöbeln und drohen. Die Sorge, trotz Klarnamen Repressalien befürchten zu müssen, sei bei vielen offenbar nicht vorhanden, sagt er.

 

Beschäftigte müssen gleichermaßen geschützt werden

 

„Aber niemand ist Freiwild“, betont er. Ihm ist wichtig, dass das auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung in Dormagen wissen. Man müsse ihnen den Rücken stärken durch das Stellen einer Strafanzeige, öffentliche Aufklärung, hausinterne Runden, bei denen solche Vorfälle thematisiert werden, Supervision und das Ziehen klarer Grenzen.

 

Lierenfeld ist das wichtig, denn er kennt auch die Arbeit für eine Kommune nicht nur als Bürgermeister. Mehrere Jahre hat er zuvor selber im Sozialamt gearbeitet. Selbst habe er bewusst miterlebt, dass 2012 eine Kollegin – Mitarbeiterin im Jobcenter – in Neuss erstochen wurde. „Ich weiß, was das mit einer ganzen Behörde macht“, sagt er offen heraus.

 

Gemeinsame Erklärung für mehr Respekt gegenüber Rettungskräften

 

„Leider erleben gerade die Menschen, deren Aufgabe und ehrenamtliche oder berufliche Verpflichtung es ist, unser friedliches und geschütztes Zusammenleben zu gewährleisten, immer wieder, dass ihnen dabei Hass und blinde Aggression entgegenschlagen. Sie sind nicht nur verbalen und körperlichen Angriffen ausgesetzt“, heißt es in einer Erklärung, die die politische Spitze mehrerer Kommunen aus dem Rhein-Erft-Kreis erst vor wenigen Tagen unterzeichneten. Auch Lierenfeld unterzeichnete diese für seine Stadt. Damit fordern die Rein-Erft-Kommunen erneut mehr Respekt vor Einsatzkräften und der Leistung von Polizeibeamten und Rettungskräften.

 

In der Pandemie beobachtet er innerhalb seiner Kommune im Jugendamt, bei der Bauaufsicht und im Ordnungsamt eine Zunahme von Übergriffen. Es sei wichtig, das immer wieder auf die Tagesordnung zu bringen.

 

Städtetag beobachtet zunehmende Gewalt mit Sorge

 

Gleiches fordert auch der Städtetag Nordrhein-Westfalen in Bezug auf zunehmende Gewalt gegen Kommunalpolitiker. „Der Vorstand sieht mit großer Sorge, dass Verunglimpfung, Bedrohung und Übergriffe gerade gegenüber Menschen zunehmen, die sich kommunalpolitisch engagieren“, heißt es in einem Beschluss des Städtetages NRW vom Februar 2020. Für wichtig hält man dort die Arbeit der von der Landesregierung eingerichteten Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW. Sie ist bei der Staatsanwaltschaft Köln angedockt und zentrale Ansprechstelle in politischen Sicherheitsfragen für politische Verantwortungsträger.

 

Solche Initiativen hält auch der Dormagener Bürgermeister für wichtig. Polizei und Justiz müssten nach außen deutlich machen, dass der Staat wehrhaft sei. Den Blick richtet er dabei auch auf das Geschehen im Internet: „Übergriffe müssen heraus aus der Anonymität des Internets.“

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