Land springt ein, wenn Täter Schmerzensgeld nicht zahlen
03.03.2016 | Betroffenenberichte

Beruf Polizist: Beschimpft, verletzt und trotzdem freundlich

„Ich hatte keinen blassen Schimmer davon, was mich erwartet, als ich mich beworben habe“, sagt Jannik Doktorowski heute rückblickend. Denn die Schere geht zu weit auf zwischen dem anfänglich noch idealistischen Bild und der bitteren Realität, die ihm täglich begegnet. Er und seine Kollegen sehen sich oft in Situationen, in denen ihr Gegenüber billigend in Kauf nimmt, sie zu töten.

 

Das, was dem jungen Beamten und vielen seiner Kollegen jeden Tag an Angriffslust und blankem Hass entgegenschlägt, ist unvorstellbar. Bei kleinsten Anlässen kommt es zu Auseinandersetzungen, die Zahl der Großeinsätze steigt immer weiter an. „Man kommt immer häufiger an die Grenze dessen, was man selber bewältigen kann“, sagt der selbstsichere Beamte. Er erzählt von der Blockupy-Demo, die eigentlich eine Solidaritätskundgebung für Griechenland sein sollte. Doch schnell flogen die ersten Steine „und schließlich wurden Streifenwagen angezündet, in denen Kollegen saßen“. Die Bilder, auf denen lodernd die Flammen aus den blau-silbernen Streifenwagen schlagen, sind allen noch wie ins Gedächtnis gebrannt.

 

„Es wird in Kauf genommen, dass Polizisten sterben“

 

Was Jannik daran schockiert, ist nicht nur die Tatsache, dass bei solchen Übergriffen in Kauf genommen wird, dass Polizisten sterben. „Ich habe den Beruf ergriffen, weil ich den Idealismus habe, die Demokratie und unser Rechtsgut zu schützen“, sagt Jannik Doktorowski. „Dafür halte ich jeden Tag meinen Kopf hin. Denn wer sonst sollte ganz neutral dafür sorgen, dass Menschen frei ihre Meinung sagen können?“ Als Polizist ist er mit den Kolleginnen und Kollegen seiner Hundertschaft oft bei Demonstrationen im Einsatz, denn die deutsche Verfassung räumt jedem das Recht ein, sich „friedlich und ohne Waffen zu versammeln“ – so steht es wörtlich im Grundgesetz.

 

Die Realität, die der junge Polizeibeamte jedoch fast täglich zu spüren bekommt, sieht anders aus. Von friedlichem Versammeln mag er nicht sprechen. „Wir erleben Angriffe mit Säure oder Situationen, in denen PU-Schaum und Feuerlöscher in Beton einbetoniert als Straßensperren abgestellt werden. Wenn wir sie aufhämmern, gehen sie hoch.“ Es kann immer und überall passieren, dass derart tödliche Angriffe erfolgen. Das Gefühl vom Polizisten als Freund und Helfer scheint wie ein Relikt aus vergangenen Tagen.

 

In Schocksekunden trotzdem handeln

 

Schocksekunden, die sich ins Hirn graben, auch bei einer Demonstration von Salafisten gegen Pro NRW: Ein Polizist wird trotz Schutzkleidung lebensgefährlich durch einen Messerstich verletzt. „Nur dem besonnenen Verhalten einer Kollegin ist es zu verdanken, dass er überlebte“, erzählt Doktorowski. Sie kniete sich mit ihrem ganzen Körpergewicht auf die Wunde. Hätte sie das nicht getan, wäre der angegriffene Polizist innerhalb weniger Minuten verblutet.

 

Die Liste der persönlichen Schockmomente ist in diesem Beruf lang. Oft wird Benzin gegen Polizisten eingesetzt und nicht selten fliegen Böller oder Flaschen. Häufig stürmen Menschen mit Knüppeln, Messern und Macheten auf die Beamten zu. Das Gefahrenpotential ist hoch. Auf dem Weg zum nächsten Einsatz hängen immer noch die letzten Schlagzeilen in den Köpfen: In Notwehr erschießt ein Polizist einen Mann, der in einer Wache in Oberhausen zunächst einen ihm völlig unbekannten 21-Jährigen mit einem Messer verletzt und danach die Polizisten attackiert.

 

Es ist nicht einfach, nach solchen Vorfällen mit den Folgen umzugehen. Zu dem Trauma, einen Menschen erschießen zu müssen, um andere und sich selbst zu schützen, stürzen in einem solchen Fall weitere psychische Belastungen auf die jeweiligen Beamten ein. Beim Einsatz der Schusswaffe prüft die Staatsanwaltschaft standardmäßig, ob der Waffeneinsatz rechtmäßig war. Zu Selbstvorwürfen und Selbstzweifeln gesellt sich manches Mal ein kaum zu ertragender Generalverdacht, der die Opfer – wenn auch nur vorübergehend – zu Tätern macht.

 

„Entweder durchstehen oder kaputtgehen“

 

In manchen Dienstgruppen ist das Gespräch nach Feierabend die beste Bewältigungstherapie. Denn trotz der Anbindung an ihre Familien hilft vielen Beamten das Gespräch mit Kollegen am besten. „Die haben Ähnliches erlebt und wissen, wovon man spricht“, sagt Doktorowski. Im Familien- und Freundeskreis fehlt manchmal vor lauter Betroffenheit das Feedback. Irgendwann höre man dann auf, darüber zu reden.

 

Auf das, was in Ausübung des Berufs auf einen einprasselt, fühlt sich Jannik Doktorowski wie viele seiner Kollegen nicht ausreichend vorbereitet. „Wie soll das auch gehen?“, fragt er auf unsere Frage danach zurück. „Man kann es nicht trainieren, die ganze Zeit beschimpft, beleidigt und verletzt zu werden.“ Auch Schulungen zur Stressbewältigung helfen da nur wenig. Entweder man steht es durch, oder man geht daran kaputt.

 

Für den jungen Beamten ist jetzt die Politik an der Reihe. Er vermisst die Rückendeckung von dort und die Ansage „bis hierher und nicht weiter“. Das sei der Staat seinen Bediensteten doch schuldig.

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