Nach Gewalterfahrung und Therapie keine Verbeamtung?
06.01.2017 | Betroffenenberichte

Gewalt gegen Lehrer: Treten und schlagen statt zuhören und lernen

Schule ist Lernort. Doch immer öfter wird sie auch Schauplatz von Gewalt und Aggression gegen Lehrkräfte. Sechs von 100 Lehrern sind schon einmal körperlich von Schülern angegriffen worden. Jeder vierte wurde bereits Opfer psychischer Gewalt. Eine Lehrerin berichtet von einem Übergriff – und wie ihre Schulleitung damit umging.

 

Geschichtsunterricht in einer weiterführenden Schule in NRW: Eine Schülerin ist heute sehr aufgebracht und unruhig im Geschichtsunterricht. Das fällt Geschichtslehrerin Eva Reimann (Name geändert) gleich zu Beginn der Stunde auf. Sie greift mehrmals ein und versucht, die pöbelnde Schülerin zur Ruhe zu bringen. Doch die Situation wird immer schwieriger. Schließlich schlägt sie der aufgeregten Schülerin vor, den Sozialpädagogen der Schule zu besuchen. Das Mädchen geht nicht darauf ein. Kurz darauf stürzt sie aufgeregt und ohne Ankündigung aus der Klasse.

 

„Ich bin ihr bis zur Türe nachgelaufen, um zu sehen, wo sie hin läuft. Das war in Richtung Sozialpädagoge. Ich habe gedacht: Na, hat sie es sich doch anders überlegt und geht hin“, erinnert sich Eva Reimann. Doch das war eine Fehlannahme. Die junge Lehrerin will die Türe des Klassenraumes gerade schließen und hält die Klinke noch in der Hand als jemand von außen mit aller Gewalt davor tritt. „Sie schlug mir mit voller Wucht gegen die Schulter“, sagt Eva Reimann. An den Schmerz und auch an den Schock kann sie sich noch gut erinnern, als plötzlich die aufgebrachte Schülerin vor ihr im Türrahmen steht und beginnt, sie weiter anzugreifen. „Sie schlug mir auf den Kopf“, sagt Reimann. Nicht nur die Lehrerin steht unter Schock. Auch die Klassenkameraden sind in Angst und Sorge.

 

Statistisch gesehen sind laut einer Untersuchung des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) bereits mehr als 45.000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen Opfer von gewalttätigen Angriffen geworden. Sechs von 100 Lehrern sind wie Eva Reimann schon von ihren Schülern angegriffen worden. Was bleibt ist Wut und Angst. Erst recht dann, wenn man in einer solchen Situation keine Unterstützung erfährt. Denn nach diesem Vorfall steht Eva Reimann alleine da. Die Schulleitung legt ihr nahe von einer Anzeige Abstand zu nehmen. Die Schülerin stehe im Moment sehr unter Druck und sei in einer persönlich schwierigen Situation.

 

Statt Unterstützung durch die Schulleitung psychischer Nachtritt

 

Aber was vermittelt man, wenn auf Gewalt keine Konsequenz folgt? Eva Reimann ist ratlos. Mit Tränen in den Augen setzt sie zunächst den Unterricht fort. Erst kurz vor Schulschluss gibt es ein Gespräch mit der Schulleitung, an dem auch die Schülerin teilnimmt. „Sie hat sich dabei entschuldigt“, sagt Reimann. Doch Reimanns Schreck ist damit nicht verschwunden – auch die Schmerzen in der Schulter nicht. Darum geht sie am nächsten Tag zum Arzt. Der diagnostiziert eine innere Verletzung und zahlreiche Hämatome. Der Arzt will Reimann krankschreiben. Sie verzichtet darauf. Auch nach ihrem Arztbesuch schlägt ihr Unverständnis von Seiten der Schulleitung entgegen. Warum sie wegen einer solchen Bagatelle beim Arzt vorstellig geworden sei, fragt man sie. Unterstützung durch die Schulleitung sieht anders aus. So eine Erfahrung ist ein psychischer Nachtritt.

 

Tatsächlich verzichtet sie auf eine Anzeige gegen das Mädchen, jedoch nur unter der Bedingung, dass es sich professionelle Hilfe suche. Dieser Vorfall hat sich in das Hirn der jungen Pädagogin eingebrannt. Es bringt sie innerlich auf, keine Hilfe beim Vorgesetzten zu finden. Nicht zu Unrecht, denn die Frage, ob eine Schulleitung durch den Verzicht auf eine Strafanzeige nach einem solchen Ereignis nicht selbst eine Straftat vereitelt, steht im Raum.

 

Der Ton an deutschen Schulen ist unerträglich rau geworden. Die Rechtssicherheit ist in vielen Bereichen für die Lehrkräfte oft nicht gegeben. Wie soll man reagieren, wenn Schüler aufeinander eindreschen? Geht man dazwischen und fasst einen der Schüler in Anbetracht der eskalierten Situation härter an, drohen möglicherweise später rechtliche Konsequenzen von Seiten der Eltern. Auch solche Situationen hat Eva Reimann schon erlebt. Schüler sollen sich kleine Verletzungen durch den Zugriff von Lehrern zugezogen haben. Leicht werden die Lehrer so vom Opfer zum Täter gemacht und müssen sich vor Schulleitung, Eltern und im Zweifelsfall auch rechtlich verantworten.

 

Lehrkräfte fordern mehr Unterstützung

 

Das macht vielen Lehrkräfte zu schaffen. Sie fordern mehr Rechtssicherheit und mehr Schutz durch den Arbeitgeber. Doch auch auf anderer Ebene müssen Veränderungen einsetzen. Wo, das zeigt ein Appell bayerischer Lehrer gegen die Hasssprache an Schulen, dem sich der VBE-Landesverband Nordrhein-Westfalen angeschlossen hat. Es muss im Umgang miteinander etwas geschehen. Verrohung und Aggressivität, mangelnder Respekt und Ausgrenzung dürfen auch in Schulen keinen Platz haben.

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