Nach tödlicher Messerattacke geht Köln mit Melderegister an den Start
Nach dem tödlichen Angriff auf einen Mitarbeiter der Stadt Köln Ende vergangenen Jahres steht in der Domstadt fest: Alle kommunalen Beschäftigten sollen noch besser geschützt werden. Um das zu erreichen, hat man dort mit Hochdruck an einem zentralen Melderegister gearbeitet. Was es kann – und warum es in Deutschland einzigartig ist.
Es ist kurz vor Weihnachten, als im vergangenen Jahr ein Mitarbeiter der Kölner Stadtkämmerei an der Haustür eines Privathauses klingelt. Sein Auftrag: Schulden eintreiben. Vollkommen unerwartet wird der 47-Jährige vom Schuldner niedergestochen und stirbt an seinen Verletzungen. Eine weitere Mitarbeiterin kommt mit dem Leben davon.
Die beiden Beschäftigten waren ahnungslos ins Unheil gerannt. Aus der Akte des Täters ging nicht hervor, dass er bereits einige Monate zuvor auch Mitarbeiter des Sozialamtes angegriffen hatte. Eine ganze Stadt steht unter Schock.
Keine leeren Versprechen
Unmittelbar nach dem tödlichen Angriff kündigt Oberbürgermeisterin Henriette Reker an, „die Sicherheitsarchitektur für alle Mitarbeiter neu aufzustellen“. Konkret heißt das: Den Kölner Verantwortlichen reichen bereits vorhandene Besuchersteuerungen und Sicherheitsschulungen für die Beschäftigten nicht mehr aus. Man wagt sich an einen großen Wurf: ein Register, in dem alle Beschäftigten Übergriffe direkt eintragen können. Eine Datenbank, die vor Einsätzen Auskunft gibt über Personen, die in städtischen Ämtern bereits übergriffig gewordenen sind. Der 47-jährige Beschäftigte aus der Kämmerei hätte in solch einer Datenbank die Information finden können, dass der betreffende Schuldner bereits in der Vergangenheit gegenüber städtischen Mitarbeitern handgreiflich geworden ist.
Im Zentrum für Kriminalprävention und Sicherheit der Stadt Köln hatte man im Herbst 2019 die Arbeit an einem solchen System aufgenommen, das vor allem Beschäftigte im Außendienst und mit Kundenkontakt besser schützen sollte. „Die Umsetzung dieses Meldesystems wurde nach der Messerattacke nochmals deutlich beschleunigt“, sagt Dolores Burkert, Leiterin des Zentrums für Kriminalprävention und Sicherheit. Im April ist es unter dem Namen ZeMAG (Zentrales Melde- und Auskunftssystem bei Gefährdungen von Mitarbeitenden) an den Start gegangen.
Den toten Kollegen holt es nicht zurück, aber es schützt alle anderen
„Für unseren Kollegen aus der Kämmerei kam das System leider zu spät“, bedauert Dolores Burkert. Doch es soll von nun an nicht nur derart schwere Übergriffe auf Beschäftigte verhindern: „Unser Ziel ist es, in diesem System analog den Gefährdungslagen des Aachener Modells die Stufen 2 und 3 zu erfassen“, sagt Burkert. Dazu zählen demnach Bedrohung, Nötigung, Sachbeschädigung, körperliche Gewalt, Einsatz von Waffen, Werkzeugen, Bombendrohung, Amoklauf, Geiselnahme und Überfall. „Uns war wichtig, dass die in ZeMAG erhobenen Daten den Kriterien des Strafrechts entsprechen.“ Davon unberührt werde jedoch bei jedem Übergriff – gleich welchen Ausmaßes – automatisch Strafanzeige erstattet. „Das ist ein Muss“, betont Burkert. Denn es bringe zum Ausdruck, dass die Null-Toleranz-Verpflichtung der Stadt – angefangen von Beleidigungen der Beschäftigten – keinerlei Übergriffigkeit duldet.
„Zudem wird auch nach jedem Übergriff automatisch eine Unfallanzeige erstellt“, sagt Burkert. Das sei nötig, weil nicht immer sofort nach einem Zwischenfall klar sei, welche Folgen sich möglicherweise später daraus ergeben können. Sie erinnert sich dabei konkret an einen Vorfall, bei dem Autonome das Stadthaus stürmten. „Sie drangen auch vermummt in Mitarbeiterbüros ein.“ Zwar sei es nicht zu Handgreiflichkeiten gekommen, doch Wochen später zeigte sich, dass manche Beschäftigten die Situation keinesfalls schadlos überstanden hatten und von Angstzuständen und seelischen Folgen berichteten.
Das passiert nach der Erfassung im Meldesystem
Werden über die Beschäftigten der Stadt Köln Übergriffe in ZeMAG eingegeben, geht darüber hinaus automatisch eine Meldung des Vorfalls an den unmittelbaren Vorgesetzten sowie an das Zentrum für Prävention und Sicherheit. So ist sichergestellt, dass alle entsprechenden Ansprechpartner im Sinne der Fürsorgepflicht informiert sind. Diese Meldung enthält keine Angaben zum Mitarbeiter oder gar Opferdaten. Lediglich die entsprechende Dienststelle wird aufgeführt. Das ist darum wichtig, weil das System den Datenschutz sehr hoch hängt. Man ist bei der Stadt Köln sehr darauf bedacht, das Sicherheitstool nicht durch Missachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen wieder einstellen zu müssen.
„Wir wollten lieber solide starten mit der Maßgabe, uns zu verbessern, als von Anfang an Inhalte in ZeMAG zu erfassen, die nachher dazu führen könnten, dass wir das System wieder einstellen müssen“, sagt Burkert. In enger Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten der Stadt wurden die Kriterien für die Datenerfassung erarbeitet und ebenso Löschfristen gesetzt. Die sorgen dafür, dass die erfassten Daten nach festgelegten Zeiträumen automatisch gelöscht werden.
Übergriffige und Randalierer bekommen Post von der Stadt
Dazu gehört auch, dass die Personen, die nach Übergriffen gegen Beschäftigte der Stadt in diesem System erfasst werden, auch eine Mitteilung bekommen, dass Daten über sie erhoben wurden. „Sie bekommen Post von uns“, erläutert Burkert. Tenor des Briefes: Wann die Person durch übergriffiges Verhalten auf einen städtischen Mitarbeiter aufgefallen ist und welcher Kategorie dieser Vorfall zuzuordnen ist. Daran schließt sich ein Hinweis an auf die Regeln des Umgangs in den Ämtern der Stadt an sowie der Verweis auf die Null-Toleranz-Politik. Zudem erfährt jede erfasste Person, zu welchem Zeitpunkt die Daten über sie voraussichtlich wieder gelöscht werden.
Dass die Briefe an die gefährlichen Personen nicht immer auf Akzeptanz stoßen werden, ist den Machern der Stadt Köln schon jetzt klar. „Wir sind uns über mögliche Klagen bewusst, aber wir wollen uns als Stadt klar positionieren“, betont Burkert.
Auch andere Kommunen sind scharf auf ZeMAG
Bereits jetzt gibt es zahlreiche Anfragen aus anderen Kommunen, die ebenfalls Interesse an einem solchen System haben. Derzeit wird unter anderem daran gearbeitet, ZeMAG übertragbar und kompatibel zu machen und so die Erfahrungen wie auch die Software anderen Kommunen zur Verfügung stellen zu können.
Ebenfalls in der Mache: „Wir arbeiten daran, den gesamten Workflow zu digitalisieren“, sagt Burkert. Das bedeutet: Werden Vorfälle ins System eingegeben, soll in Zukunft automatisiert auch eine Straf- und eine Unfallanzeige auf dem Bildschirm als Formularvorlage erscheinen. Weitere Pläne: Gibt ein Mitarbeiter beispielsweise einen Vorfall mit Waffeneinsatz ein, sollen automatisch Informationen und Ansprechpartner des psychologischen Dienstes der Stadt angezeigt werden. „Je nach Gefährdungslage und Einstufung sollen Handlungsschemata generiert werden, die es ermöglichen, in einem hoch emotionalen Fall richtig und systematisch vorzugehen“, sagt Burkert. Das Heraussuchen von Telefonnummern und einzelnen Ansprechpartnern soll dann in Zukunft entfallen.
Zudem soll auch die Eingabe von Übergriffen nach Außeneinsätzen von mobilen Geräten aus ermöglicht werden. „Wir möchten das System mobil machen, so dass jeder Außendienstmitarbeiter, dem unterwegs etwas passiert, dies sofort und unkompliziert über sein Handy melden kann“, erläutert die Sicherheitsexpertin der Stadt Köln. Dann weiß der Vorgesetzte bereits von einem Zwischenfall, bevor der Beschäftigte zurück in die Behörde kommt und kann schon fürsorgende Maßnahmen einleiten. Das neue Sicherheitssystem der Stadt Köln steht erst ganz am Anfang und wird sein volles Potential noch weiter entfalten.