Nötigung und Gewalt – so geht man in Aachen dagegen vor
Zu wenig Schutz, keine Notrufsysteme und Chefs, die nicht hinter einem stehen, wenn etwas passiert. Viele Beschäftigte im Öffentlichen Dienst klagen über die raue Wirklichkeit in den Amtsstuben. In Aachen hingegen wird vieles besser gemacht.
Der Plan ist ehrgeizig: Bis Ende 2016 soll es für die Stadt Aachen ein Rahmenkonzept in Sachen Gewaltprävention geben. Das ist der Stadt derart wichtig, dass es der Oberbürgermeister zur Chefsache erklärt hat. „Wir starten in einem ersten Schritt in vier Bereichen“, erklärt Katrin Päßler, die als leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit bei der Stadt Aachen für das Thema zuständig ist. Als Mitautorin des Aachener Modells – einem erfolgreichen Konzept zur Reduzierung von Bedrohungen und Übergriffen an Arbeitsplätzen mit Publikumsverkehr – ist sie Expertin für das Thema Sicherheit am Arbeitsplatz.
In Bürgerservice, Ordnungs-, Jugend- und Sozialamt geht es los. Diese Abteilungen hat man zunächst unter die Lupe genommen, um aufzuspüren, wo es hapert. „Wir haben die Mitarbeiter befragt, um herauszufinden, wie oft sie sich unsicher oder bedroht fühlen, wie häufig es zu Übergriffen kommt und für wie wirksam sie bisher getroffene Maßnahmen halten. Dabei haben wir festgestellt, dass die Formen von Gewalt unterschiedlich sind: Sie reichen von verbalen Aggressionen über Sachbeschädigung bis hin zu körperlichen Angriffen. Auch bewerten die Beschäftigten die Vorfälle unterschiedlich und nehmen diese verschieden wahr“, sagt Päßler.
„Wir mussten nicht bei null anfangen“
Das Ergebnis der Befragung: Schwierige und konfliktbeladene Gespräche gibt es überall und jeden Tag, körperliche Gewalt und Nötigung kommen dagegen seltener vor. Dennoch will man Gewalt in Aachen nicht länger hinnehmen und ist darum in die Analyse der Probleme eingestiegen. „Ich wusste, dass wir in den Pilotbereichen hinsichtlich der Maßnahmen zur Gewaltprävention nicht bei null anfangen müssen, sondern bereits viele gute Grundlagen vorfinden werden“, sagt Päßler. Gefahrenbewusste Büroeinrichtung, Ideen zur Gestaltung von Besprechungsbereichen, Alarmierungsmöglichkeiten, Bürotüren mit Spionen, Schulungen oder Nachsorge nach Übergriffen – das alles gehört zu dem, was bei der Stadt Aachen schon vorhanden war.
Viele gute Ansätze und Überlegungen in Sachen Gewaltprävention gibt es auch bei der Agentur für Arbeit. „Wir haben beispielsweise einen Leitfaden zum Erteilen eines Hausverbots oder einen zum Stellen eines Strafantrages. Daneben gibt es eine Checkliste für den gefahrenbewussten Arbeitsplatz“, sagt Marcel Jansen, der selber in einem Jobcenter arbeitet und als Bundesjugendleiter der vbba jugend NRW vorsteht. Anleitungen gibt es also viele, aber die Systematik fehlt noch. „Da steht so viel darin, dass mancher vielleicht den Überblick verliert“, sagt Marcel.
Bislang gibt es kein übergreifendes Konzept
Ähnlich ist es bei der Stadt Aachen. „Jeder hat einzelne Maßnahmen, die bereits umgesetzt werden, aber bisher gibt es kein übergreifendes Konzept“, fasst Päßler zusammen. „Wir möchten deshalb einen Handlungsrahmen beschreiben, der hilft, für alle Fachbereiche und Eigenbetriebe der Stadt die passenden Sicherheitsstandards und Regelungen umzusetzen, die dann gleichzeitig auch verbindlich sind.“
Genau so sieht man das auch im Planungsstab, in dem Team- und Abteilungsleiter mit gutem Anschluss an die Basis die Maßnahmen diskutieren und festlegen. „Am Ende wollen wir ein Konzept haben, das gelebt werden kann. Es soll darum kurz und knackig beschreiben, worum es geht und verbindliche Sicherheitsstandards erläutern, die die Verantwortlichen praktikabel umsetzen können“, sagt Päßler. Aus diesem Grund plant man ein Skript, das den Umfang von rund 20 Seiten möglichst nicht überschreitet.
Existierende Handlungshilfen sind zu lang
Damit spricht sie auch Marcel Jansen aus der Seele. Der würde sich angesichts der derzeit existierenden umfangreichen Anweisungen und Hilfestellungen im Jobcenter eine Suchfunktion wünschen, mit der sichergestellt ist, dass man auch das findet, was man sucht.
Wenn Katrin Päßler und die Teams der vier Pilotbehörden derzeit an Verbesserungsvorschlägen arbeiten, dann ist ihnen bewusst, dass sie nur etwas bringen, wenn sie nicht als tolle Idee auf Papier gedruckt in den Schubladen verschwinden. Dieses Schicksal ereilte in vielen Kommunen zum Beispiel die sogenannten „Grundsatzerklärungen gegen Gewalt“. Diese Erklärungen waren in verschiedenen Städten schnell aus dem Hut gezaubert und machten zum Teil in den Medien die Runde, doch verschwanden sie danach vielerorts wieder von der Bildfläche und wurden nicht mit Leben gefüllt.
Eine Grundsatzerklärung, die gelebt wird
Auch in Aachen arbeitet man an einer Grundsatzerklärung. Die soll aber mehr als ein Bogen geduldiges Papier werden: Sie soll Bestand haben und in der täglichen Praxis gelebt werden. „Die Haltung und die Werte, die der Stadt Aachen beim Thema Gewaltprävention wichtig sind, müssen sich entwickeln. Am Ende kommt es vor allem auf die Führungskräfte und die Mitarbeiter vor Ort an, die mit ihren Einstellungen und ihrem Handeln zu einer wirksamen Prävention, Deeskalation und Nachsorge beitragen“, sagt Päßler. Nur so lässt sich verhindern, dass sie zu nackten Worthülsen werden, die in Aufzügen und an Amtswänden hängen. Am Ende des Tages muss auch danach gehandelt werden.
Ähnlich wie die Stadt Aachen arbeitet auch die Stadt Mönchengladbach an einer solchen Grundsatzerklärung, die sie in den nächste Wochen verabschieden will. In Aachen aber geht man einen Schritt weiter: Dort wird es nach Abschluss der Projektphase eine Anleitung zum Vorgehen bei der Gefährdungseinschätzung geben sowie Standards für Präventionsmaßnahmen und Bausteine zur Nachsorge. Das wäre tatsächlich ein Rundum-Paket für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz.