In Pandemiezeiten nehmen die Übergriffe zu - vor allem im Netz
26.04.2017 | Symposien

Warum aggressive Sprache Gewalt fördert

Vollidiot! Hurensohn! Solche Beschimpfungen sind mehr als bloße Verbalattacken. Sie wirken nach. Auch im Hirn. Wie, das hat Neurowissenschaftler Prof. Joachim Bauer untersucht. Er kommt dabei zu einem schockierenden Ergebnis.

 

Wir alle kennen es, in einer engen Unterführung oder auf belebter Straße versehentlich jemanden anzurempeln. Heutzutage wird das oft spontan mit Beschimpfungen wie „Hey, du Arschloch!“ oder „Mach mal die Augen auf!“ quittiert. Sprache ist rauer geworden. Das beobachtet auch die Wissenschaft.

 

Aggressive Sprache breitet sich nicht nur in Brennpunkten aus

 

„Viele Menschen haben den Eindruck, dass aggressive Ausdrucksformen zugenommen haben, dass Mitmenschen verächtlich gemacht und aggressiv angegangen oder bedroht werden“, sagt uns Prof. Joachim Bauer, Neurowissenschaftler und Psychiater. Nicht nur in Brennpunktvierteln, sondern überall: auf der Straße, in Geschäften und in der Schule. Auch viele Beschäftigte im Öffentlichen Dienst kennen es nur zu gut, im Dienst beschimpft und angepöbelt zu werden.

 

Wie ein Gefühl die Worte bestimmt

 

Das bleibt nicht ohne Folgen: Grobe Sprache mindert nicht nur die Schwelle zu verbalen Ausfällen gegenüber anderen, sie macht auch aggressiv. Neuere Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit einem depressiven Grundgefühl vermehrt aggressive Gefühle mit sich herumtragen. „Wer sich einsam und sozial nicht gut aufgehoben fühlt, der entwickelt leicht so ein Gefühl wie ‚Mir geht es schlecht, schuld daran sind die anderen – und an denen lasse ich jetzt meine miese Stimmung aus!‘“, erklärt uns Bauer.

 

Das mag ein Grund dafür sein, dass Gespräche in kritischen Bereichen des Öffentlichen Dienstes wie Jobcenter und Sozialämter oder gegenüber der Polizei schneller eskalieren als andernorts. Hier geht es um mehr als um Fallbehandlung: Es geht um soziale Not, um das Gefühl, nicht dazuzugehören.

 

Anonym ist Beleidigung am leichtesten

 

Doch Bauer sieht einen weiteren Faktor für Sprachverrohung: „Im Internet kann man sich zu jedem und allem äußern, ohne dass man seinen Namen nennen muss.“ Man müsse nicht gerade stehen für den Unsinn, den man von sich gebe. Für Menschen mit schwachem Charakter sei das eine Möglichkeit, groß aufzutrumpfen, ist der Neurowissenschaftler überzeugt.

 

Auch auf YouTube sind unter einem von der dbb jugend nrw nachgestellten Video, bei dem eine Sachbearbeiterin von einem wütenden Kunden angegriffen wird, etliche herabwürdigende, verletzende und drohende Kommentare gepostet worden. Eigentlich soll das Schockvideo auf die zunehmende Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst aufmerksam machen. Am Ende des Clips wird die Domain der preisgekrönten Anti Gewalt-Kampagne „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ www.angegriffen.info eingeblendet. Doch viele User solidarisieren sich nicht mit der verprügelten Frau hinterm Schreibtisch, sondern mit dem aggressiven Bürger davor. Sie hinterlassen Kommentare wie: „Die Fotze hat zurecht aufs Maul bekommen. Kapiert es wohl nicht anders :’D“ oder „das Jobcenter braucht sich nicht wundern das solche Taten passieren. Richtig so.“ oder „…er hätte lieber vollkommen ausrasten sollen und die alte zu Tode prügeln müssen !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!“

 

Warum Hassreden oft Gewalt folgt

 

Krasse Wortbeiträge wie diese sorgen für eine zunehmende sprachliche Verrohung im Umgang miteinander. Und es kommt noch schlimmer: Aggressive Sprache fördert gewalttätiges Handeln. Den Grund dafür nennt Neurowissenschaftler Bauer: „Der Ort, in dem unser Gehirn die Sprache produziert, liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Ort, wo Handlungen geplant werden.“ Aggressives und gewalttätiges Sprechen bereite darum Gewalttaten den Boden. Das Risiko, dass dem hasserfüllten Reden gewalttätige Handlungen folgten, sei hoch. „Der Grund dafür ist, dass unser Gehirn Verachtung, die wie durch andere Menschen erleben, als Schmerz wahrnimmt. Soziale Ausgrenzung und Demütigung aktiviert die Schmerzzentren. Und Schmerz kann leicht zu aggressiven Reaktionen führen.“ Das ist ein Erklärungsansatz dafür, warum beispielsweise Rettungssanitäter bisweilen von den Patienten angegriffen werden, denen sie eigentlich nur helfen wollen.

 

Viele kennen aus dem eigenen Arbeitsfeld Situationen, in denen Gespräche eskalieren. Auch das scheint vor dem Hintergrund nachvollziehbar. „Wer von einem anderen Menschen aggressiv angesprochen wird, der reagiert leicht selbst aggressiv, oder – wenn das nicht geht – depressiv“, erläutert Bauer.

 

dbb jugend nrw für eine gewaltfreie Sprache

 

Durch eine gewaltfreie und wertschätzende Kommunikation wäre also einiges zu erreichen. Bauer betont, dass er damit keine Friede-Freude-Eierkuchen-Sprache meine, sondern einen bedachten sprachlichen Umgang miteinander, bei dem das Gegenüber nicht gedemütigt, herabgesetzt oder bedroht werde.

 

Die dbb jugend nrw verpflichtet sich darum dem Motto „Sprache von heute bestimmt das Handeln von morgen“, das sie für ihren Landesjugendtag gewählt hat. Der findet am kommenden Wochenende vom 28. bis 29. April in Bergisch Gladbach statt und wird sich inhaltlich unter anderem in einer Podiumsdiskussion mit Spitzenpolitiker Wolfgang Bosbach und der Experten für wertschätzende Kommunikation Wiltraud Terlinden vom Forum Demokratie Düsseldorf mit dem Thema auseinandersetzen. Auch die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes BLLV, Simone Fleischmann, und der Medienpädagoge Matthias Felling werden die Diskussion mit ihrem Input bereichern.

 

Mit ihrem Leitantrag „Verbaler Gewalt aktiv und entschieden entgegenwirken“ will die Landesjugendleitung der dbb jugend nrw auf dem Landesjugendtag das Thema „Gewaltfreie Kommunikation“ auf breite Füße stellen und sich dafür den nächsten Jahren verstärkt einsetzen.

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