Wie Anfeindungen das Risiko psychischer Erkrankung erhöhen
10.04.2019 | Betroffenenberichte

Wie Übergriffe auf die Psyche wirken

Wenn Beschäftigte in Arbeitsagenturen, Finanzbehörden oder anderen Bereichen von Kunden attackiert werden, hinterlässt das Spuren. Manchmal tiefere, als selbst die Betroffenen wahr haben wollen. Thomas Müller-Rörich von der Deutschen Depressionsliga berichtet von seinen Erfahrungen.

 

Wer bei der Polizei oder im Strafvollzug arbeitet, von dem wird oftmals angenommen, dass er ein dickes Fell haben müsse. Denn Beleidigungen oder Auseinandersetzungen sind hier an der Tagesordnung. Anders denken viele über die Beschäftigung in einem Ausländeramt, einer Finanzbehörde oder bei der Agentur für Arbeit. Eigentlich ein Job wie jeder andere, so die einhellige Meinung. „Der arbeitet in einer Verwaltung, ein Bürojob halt“, könnte man meinen.

 

Tatsächlich aber haben sich auch die Berufe dort zum Teil gewandelt. Anfeindungen und Attacken stehen auf der Tagesordnung und gehören zunehmend zum Berufsalltag.

 

Übergriffe haben oft erhebliche Folgen für die Psyche

 

Thomas Müller-Rörich ist Gründungsmitglied der Deutschen DepressionsLiga. Aus dem Besuch in einer Arbeitsagentur weiß er, wie belastend die Arbeit der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst geworden ist. „Übergriffe im Kontakt zur Kundschaft nehmen zu. Mit teilweise erheblichen Folgen für die Beschäftigten“, sagt er im Gespräch mit uns.

 

Er hat es sich darum zur Aufgabe gemacht, in Betrieben wie diesen über psychische Erkrankungen aufzuklären. Denn damit, dass der Job derart krank machen kann, rechnen viele nicht. Auch die Personalverantwortlichen nicht. Oft sei die Überraschung bei den Verantwortlichen sehr groß, wenn sie hören, wie Mitarbeiter durch den hohen Leidensdruck ein höheres Risiko haben, psychisch krank zu werden und beispielsweise eine Depression zu erleiden, sagt er und schließt an: „Manche Mitarbeiter leiden sehr.“

 

Zwischen Helferwillen und Regelwerk gefangen

 

Belastend wirken sich nicht nur die dauernden Anfeindungen aus, denen manche durch eskalierende Kundengespräche und ein aggressives Klientel ausgesetzt sind, sagt Müller-Rörich. Was ebenfalls zu einer hohen psychischen Belastung beitragen kann: „Der Job ist für manchen schwer, weil er über Schicksale entscheiden muss.“ Vielen sei der Wille wichtig, helfen zu wollen. Die Mitarbeiter versuchen, das Beste für die Betroffenen zu erreichen, sehen sich aber andererseits mit einem strikten Regelwerk konfrontiert, dem sie folgen müssten.

 

Uneinsichtigkeit bei den Bürgern auf der anderen Seite des Schreibtischs kann zu eskalierenden Situationen und Beleidigungen führen. Die Betroffenen projizierten die eigene Wut und Not auf die Mitarbeiter. Dass daraus Handgreiflichkeiten entstehen, in die Sicherheitsdienste eingreifen müssten, komme immer häufiger vor. „Bei sensiblen Persönlichkeiten kann das zu einer Art Traumatisierung führen“, sagt Müller-Rörich. Die Betroffenen gehen in Folge dessen jeden Tag mit einem unguten Gefühl zur Arbeit. Das Risiko für eine ernsthafte psychische Krise erhöht sich dadurch.

 

Hohes Konfliktpotential erhöht Risiko für psychische Erkrankung

 

„Je aggressiver die Kunden, desto höher ist das Konfliktpotential und desto größer ist auch das Risiko für psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen“, weiß das Gründungsmitglied der Deutschen DepressionsLiga aus jahrelanger Erfahrung.

 

Er hält es darum für wichtig, auch in Behörden eine Kultur zu entwickeln, die die offene Auseinandersetzung mit solchen Belastungen möglich macht. „Man sollte in einer Gruppe oder in professioneller Einzelberatung über solche Belastungen sprechen dürfen“, sagt er.

 

„Aus diesem Grund erscheint es umso sinnvoller, durch ein konsequentes Meldewesen in allen Behörden einen Überblick darüber zu haben, wie viele Übergriffe es gibt und wie hoch die Belastung bei den Beschäftigten ist“, sagt Moritz Pelzer, Vorsitzender der dbb jugend nrw. Wenn eine hohe Anzahl an Mitarbeitern betroffen sei, sei das ein Indiz dafür, dass man über professionelle Angebote zur psychischen Entlastung nachdenken müsse, sagt Müller-Rörich.

 

Schweigen aus Angst, Schwäche zu zeigen

 

Die Gefahr nämlich: Sprechen die betroffenen Mitarbeiter nicht über den Druck und die Belastung, gehen sie zusehends über die eigenen Grenzen. „Viele denken zudem sie dürften keine Schwäche zeigen“, sagt Müller-Rörich. Sie empfinden es als normal, im Job beleidigt und angegangen zu werden. Es muss also ein anderes Bewusstsein geschaffen werden, das wie körperliche Fehlbelastungen im Job auch die psychischen Fehlbelastungen unter die Lupe nimmt.

 

Einer der Vorschläge, die Müller-Rörich in die Betriebe einbringt, die er berät: „Man muss nach Belastungen die Möglichkeit anbieten, die Vorfälle verarbeitbar zu machen.“ Doch stellt er fest, dass es in vielen Betrieben ein erschreckend geringes Bewusstsein dafür gebe. „Jeder versteht, dass ein Mensch schwere Verletzungen davon trägt, wenn man ihn überfährt. Aber es gibt kein Bewusstsein dafür, dass man krank wird, wenn man jemanden dauernd beschimpft“, sagt der Vertreter der Deutschen DepressionsLiga.

 

Darum sollte es seiner Meinung nach zur Normalität werden, nicht nur Rückenschulen im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements anzubieten, sondern ebenso Notfallrufnummern einzurichten, unter denen Psychologen zum Gespräch zur Verfügung stehen. Eines der besten Mittel zum präventiven Schutz vor psychischen Erkrankungen sei darüber hinaus sozialer Zusammenhalt – also auch ein gutes Miteinander unter den Kollegen.

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