06.04.2016 | Mit im Boot

Bundesinnenminister macht Gewalt gegen Staatsdiener zum Thema

Das Thema „Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst“ schlägt immer höhere Wellen und hat inzwischen auch das politische Berlin in Bewegung gesetzt. Am gestrigen Dienstag veranstalteten Bundesinnenministerium (BMI) und dbb eine internationale Konferenz zur wachsenden Gewaltproblematik. Die dbb jugend nrw, die das Thema ihrerseits seit anderthalb Jahren intensiv voranbringt, nahm mit drei Verbandsvertretern an dieser Konferenz teil.

 

Respektlosigkeiten, Pöbeleien, Beleidigungen und Gewalttätigkeiten gegenüber Beschäftigten im Öffentlichen Dienst gehören in vielen Ämtern und Behörden immer mehr zur Tagesordnung. Die dbb jugend nrw macht seit geraumer Zeit in Gesprächen mit politisch Verantwortlichen, in Konferenzen und Podiumsdiskussionen, durch eine intensive Berichterstattung und mit plakativen Öffentlichkeitsaktionen auf dieses drängende Problem aufmerksam. Am gestrigen Dienstag hat nun auch das politische Berlin dieses wichtige Thema aufgegriffen und in der Behörde von Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière in einer internationalen Konferenz von BMI und dbb das Thema „Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst“ intensiv diskutiert.

 

Bundesinnenminister de Maizière fand klare Worte: „Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst können wir nicht akzeptieren und wir werden entschieden dagegen vorgehen“. Gleich in seinen Eingangsworten machte er deutlich, warum er als Bundesinnenminister sogar in doppelter Funktion gemeinsam mit dbb-Chef Klaus Dauderstädt zur Konferenz geladen hatte: „Gewalt ist immer eine Frage der öffentlichen Sicherheit. Als Innenminister habe ich darüber hinaus eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern im Öffentlichen Dienst“.

 

Ähnlich steht die dbb jugend nrw zu dieser Thematik und hatte aus diesem Grund bereits im März 2015 NRWs Innenminister Ralf Jäger aufgefordert, sich ressortübergreifend der wachsenden Zahl an Übergriffen auf Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes anzunehmen. „Wir wünschen uns auch von Minister Jäger, dass er das Thema Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst als Innenminister in seinem Bundesland zur Chefsache macht – und zwar nicht nur für den Bereich der Polizei, sondern für den gesamten Öffentlichen Dienst“, erneuerte der stellvertretender Landesjugendleiter Frank Meyers die Forderung der dbb jugend nrw am Rande der Konferenz in Berlin.

 

Die Veranstaltung, an der auch die Ministerin für Dezentralisierung und den Öffentlichen Dienst der Republik Frankreich, Marylise Lebranchu, teilnahm, war ein guter Anfang, um die Gewaltthematik verstärkt in den Fokus der Betrachtungen zu rücken. Dass die Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst zunimmt, darüber waren sich die Anwesenden einig. Doch worin liegen die Ursachen für die zunehmende Verrohung der Gesellschaft? Was sind Auslöser für gewalttätiges Verhalten und was kann man dagegen tun?

 

Wertevolle Antworten auf diese Fragen lieferte der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt-und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, Prof. Dr. Andreas Zick. Er wies darauf hin, dass die Ökonomisierung der Beziehung zu staatlichen Institutionen auch negative Effekte mit sich bringt. Im Klartext: Wenn „Bürger“ im Amt zu „Kunden“ werden, verändern sich auch deren Ansprüche. Der Kunde ist schließlich König, kann verhandeln und eine möglichst gute Leistung und guten Service erwarten. Wenn die Aufgabe des Staatsdieners aber ist, Geld-Forderungen zu vollstrecken, ein Bußgeld zu verhängen, ein Fahrzeug abzuschleppen oder Sozialleistungen zu kürzen, gibt es die Möglichkeiten schlichtweg nicht, die der Begriff „Kunde“ suggeriert. Das erzeugt zusätzlichen Frust beim Bürger.

 

Wie sich die zunehmende Gewalt konkret zeigt, wussten auch Vertreter aus der Praxis wie der Geschäftsführer vom Jobcenter Hof, Uwe Mayer, der Präsident der Bundesbereitschaftspolizei, Friedrich Eichele, und der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, zu berichten. Beckmann machte deutlich, dass es in den Schulen weitaus mehr gewalttätige Kommunikation gebe als früher. Auch die Hemmschwelle zu körperlicher Gewalt sei gesunken. Er forderte, das Thema „Gewalt“ stärker in die Gesellschaft hineinzutragen – hiermit müsse schon im Kindes- und Jugendalter begonnen werden. Er machte Mut: Es sei in vergleichsweise kurzer Zeit durchaus möglich, ein Thema in der Gesellschaft zu etablieren und die Menschen zu sensibilisieren. Ein gutes Beispiel sei das Thema „Umweltschutz“. Vor den 1970er Jahren habe es diesen Begriff überhaupt noch nicht gegeben. Inzwischen seien Klimaschutz, Ökostrom und Mülltrennung im Lebensalltag der Menschen fest etabliert.

 

Bundesinnenminister de Maizière stellte heraus, wie wichtig es sei, ein gesteigertes Problembewusstsein in der Bevölkerung und bei den politisch Verantwortlichen zu schaffen. Um diesen gesamtgesellschaftlichen Trend einer zunehmenden Gewaltbilligung und zunehmenden Gewaltbereitschaft umzukehren, gibt es Maßnahmen, die im Öffentlichen Dienst schon jetzt in Angriff genommen werden können. Aus Sicht der dbb jugend nrw dulden folgende Maßnahmen keinen Aufschub mehr:

 

1. Die verantwortlichen Leiter der Ämter und Behörden müssen sich offen und deutlich mit einer „Grundsatzerklärung gegen Gewalt“ für den Schutz ihrer Beschäftigten aussprechen. Dies kostet kein Geld, ist aber ein wichtiges Signal für potentielle Aggressoren und vor allem für die beschäftigten Kolleginnen und Kollegen vor Ort

 

2. Ämter und Behörden müssen eine Gefährdungsanalyse durchführen. Das „Aachener Modell“ gibt wertvolle Anregungen, wie sich Formen von Gewalt klassifizieren lassen und wie man die tatsächliche Gefährdungslage der verschiedenen Arbeitsplätze analysieren kann.

 

3. Je nach Gefährdungslage müssen Maßnahmen getroffen werden, die den Schutz der Beschäftigten sicherstellen. Dies können Kommunikations- und Deeskalations-Trainings, Alarmsysteme, bauliche Maßnahmen und Notfallpläne sein.

 

In vielen Ämtern und Behörden mit Publikumsverkehr wird mit dem Verweis auf klamme Kassen auf die strukturierte und konsequente Umsetzung von Präventionsprogrammen verzichtet. Dazu Frank Meyers: „Wenn Leib und Leben der Beschäftigten in Gefahr sind, darf vorgeschobener Geldmangel keine Ausrede sein.“

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