Warum es in Jobcentern so häufig knallt
10.01.2017 | Betroffenenberichte

Cool down, Kollege! – Warum es in Jobcentern so häufig knallt

Wenn es um die blanke Existenz geht und um das persönliche Schicksal, um die finanzielle Situation, um Wohnungsfragen oder drohende Ausweisung, dann kochen die Emotionen schnell hoch. Auch deswegen können in Jobcentern, Sozialämter und Ausländerbehörden so viele Beschäftigte von brenzligen Situationen, Bedrohungen und Ausrastern erzählen. Wir haben einen von ihnen gesprochen.

 

Marcel Jansen, Bundesjugendleiter der vbba – Gewerkschaft Arbeit und Soziales, arbeitet selbst in einer solchen Behörde. Er kennt die Anlässe, die Menschen zum Überschäumen bringen und er kennt die Zusammenhänge, aus denen heraus sie geschehen. Er weiß, welchen Hintergrund die Menschen mitbringen, die den falschen Ton treffen oder Schlimmeres tun. Aber er kennt auch die Situationen, in denen Kollegen keinen anderen Ausweg wissen, als den Notfallknopf auszulösen, der die Belegschaft in Alarmbereitschaft versetzt.

 

Wie häufig wird der Notknopf ausgelöst?

 

Marcel: Gefühlt wird es ein- bis zweimal in der Woche sein, aber ich kenne keine Statistik dazu.

 

Wie kommt es dazu?

 

Marcel: Um es allgemein zu beantworten: Hier geht es meist um existenzielle Fragen. Das ist sensibel. Hier treffen Menschen aufeinander, die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründen kommen. Hier stoßen auch Interessen aufeinander. Als Mitarbeiter einer Behörde ist es meine Aufgabe, alles sorgsam zu prüfen. Ich bin an Gesetze und Richtlinien gebunden, die zum Wohle der Gesellschaft existieren. Als Beschäftigter einer Behörde trägt man darum Sorge dafür und muss sich an Weisungen halten. Die Bürger, die hierher kommen, haben verständlicherweise andere Interessen. Für sie steht nicht das Gemeinwohl im Vordergrund, sondern ihr persönliches Anliegen. Daraus entsteht eine Gemengelage. Auf beiden Seiten gibt es unterschiedliche Stimmungen. Hinzu kommt die Arbeitslast, wie wird mit dem Mitarbeiter umgegangen, was hat er heute schon erlebt und wie ist es mit dem Kunden, der sich als Bittsteller fühlt oder ungerecht behandelt sieht. Gewalt ist nie angemessen. Aber es hilft, wenn man sich bemüht zu verstehen, was den Kunden zur Gewalt reizt, um sie stoppen oder verhindern zu können.

 

Welche Gründe fallen dir für Ausraster im Amt ein?

 

Marcel: Auf jeden Fall sprachliche Barrieren. Sie sind oft ein Problem. Es kommt zu Unsicherheit oder Missverständnissen, wenn ein Betroffener nicht richtig versteht, was man von ihm möchte. Er fühlt sich dann vielleicht in die Enge getrieben, hilflos oder ausgeliefert. Dann ist fehlende Empathie sicherlich ein Problem und auch soziale Angst.

 

Wie wird man darauf vorbereitet?

 

Marcel: Während der Ausbildung bekommt man eine Kommunikationsschulung. Aber hier arbeiten ja auch Beschäftigte, die aus anderen Berufen quasi von extern kommen. Die haben eine solche Schulung im Zweifelsfall nie besucht. Man müsste das regelmäßig für jeden anbieten. Denn wie ein Konflikt gelöst wird, hängt in großem Maße davon ab, wie man ihn angeht. Das muss gelernt sein.

 

Was sind denn die Probleme in der Kommunikation?

 

Marcel: Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter hier bringt ein anderes Welt- und Wertebild mit. Während es mir beispielsweise nichts ausmacht, wenn mich mein Gegenüber einfach ungefragt duzt, empfindet das ein anderer Mitarbeiter vielleicht als unverschämt und fühlt sich nicht respektiert. Während der eine beleidigende Antworten einfach überhört, reagiert der andere vielleicht sehr sensibel darauf und nimmt es mit nach Hause. Es gibt Menschen, die mehr empathisches Einfühlungsvermögen haben und solche, die weniger besitzen. Ich persönlich fühle mich durch ein „Du“ nicht weniger wertgeschätzt. Es hilft ungemein, sich darauf einlassen zu können und Dinge oder Aussprüche nicht persönlich zu nehmen.

 

Sind es also nicht immer große Dinge, die sich verändern müssten?

 

Marcel: Genau. Ich denke, dass Mitarbeiter in Ämtern lernen müssen, Gefahrensituationen besser einschätzen zu können. Manchmal kann man eine sich zuspitzende Situation zum Beispiel dadurch entschärfen, dass man die Tonlage ändert. Grundvoraussetzung dafür allerdings: Man muss erkennen, dass die Lage kritisch wird. Wer das nicht bemerkt, kann auch nicht rechtzeitig intervenieren und deeskalieren. Erst recht nicht, wenn er es nicht gelernt hat. Fehler machen zudem nicht immer nur die Kunden.

 

Was würde dabei helfen?

 

Marcel: Helfen würden zum Beispiel Deeskalationsseminare, die persönlich zugeschnitten Anleitung geben und die individuell an den kommunikativen Schwächen des jeweiligen Beschäftigten arbeiten. Aber dazu müsste auch jeder bereit sein. Davon abgesehen müssten solch Schulungen regelmäßig stattfinden. Gut ist, wenn es beispielsweise einmal jährlich ein Deeskalationsseminar für alle Mitarbeiter und dazu auch ein Aufbauseminar zur Vertiefung gibt.

 

Reicht Deiner Meinung nach eine einmal jährlich stattfindende Schulung aus?

 

Marcel: Das kommt sicherlich auch auf die Vorkenntnisse des einzelnen an. Natürlich besteht die Gefahr, dass man sich in falsche Sicherheit wiegt, weil man in etwas hineingeschnuppert hat, was man aber nicht beherrscht. Denn letztlich ist es wie in jedem Sport, für den man trainiert: Nur durch intensives Training prägen sich Dinge tief ein und stehen im entscheidenden Moment als Fähigkeit zur Verfügung. Wer etwas ein einziges Mal gemacht hat, kann es in der Regel nicht anwenden.

 

Also müssten mehrmals im Jahr Schulungen angeboten werden?

 

Marcel: Mancherorts ist es so, dass es einmal im Jahr ein Grundseminar gibt und ergänzend eine Aufbauschulung zu einem anderen Zeitpunkt, in der wiederholt und vertieft wird. Problem hier: Wird die Aufbauschulung auf freiwilliger Basis angeboten, wird sie oft nicht stark besucht. Da ist jeder in seiner Eigenverantwortung gefragt, es sich selbst und seiner Sicherheit wert zu sein, dort hinzugehen.

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