Mehr als 200 Behörden vernetzen sich für mehr Sicherheit
Für viele Beschäftigte fühlt sich die Arbeit im Öffentlichen Dienst schon lange nicht mehr sicher an. Sie werden beschimpft und bedroht, im schlimmsten Fall sogar getötet. NRW-Innenminister Herbert Reul hat darum ein neues Netzwerk an den Start gebracht, an dem die dbb jugend nrw mitgewirkt hat.
Der Schock über die erst wenige Tage zurückliegenden tödlichen Schüsse auf eine 24-jährige Polizei-Studentin und ihren 29-jährigen Kollegen im rheinland-pfälzischen Kusel sitzt tief. Am frühen Morgen zielen die Täter bei einer Verkehrskontrolle direkt auf den Kopf der beiden und erschießen sie aus nächster Distanz aus dem Auto heraus.
„Diese unglaublich grausame Tat zeigt in aller Härte, mit welcher Brutalität gegen Menschen vorgegangen wird, die nichts anderes als ihren Job machen“, sagt Susanne Aumann, Vorsitzende der Deutschen Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw). Besonders verabscheuungswürdig mache diese Taten, weil Menschen angegangen – im schlimmsten Falle sogar ermordet würden – die für die Interessen aller eintreten.
Jeder einzelne Übergriff bleibt im Gedächtnis
Dass Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes in Ausübung ihres Berufs ihr Leben verlieren, zeigt die finstere Spitze eines Trends, der sich seit Jahren tagtäglich in vielen Bereichen zeigt. Davon weiß auch Nicole Schorn zu berichten, stellvertretende Vorsitzende der dbb jugend nrw. Noch gut erinnert sie sich an mehrere Übergriffe, denen sie im Einwohnermeldeamt Wuppertal ausgesetzt war.
Ein Angriff ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: Ein Mann rastet an der Infotheke aus, weil Schorn ihm keinen tagesaktuellen Termin mehr geben kann. Zunächst beschimpft sie der Mann mit „du dumme Schlampe“ und „scheiß Beamtin“. Dann wirft er der jungen Beschäftigten aus weniger als einem Meter Abstand seine Unterlagen an den Kopf. „Ich weiß nicht, ob sich jemand vorstellen kann, wie erniedrigend das ist“, sagt Schorn. Besonders schlimm für sie: Im Eingangsbereich schauten rund 70 Wartende dabei zu. Dagegen getan hat niemand etwas.
„Übergriffe sind in Pandemie häufiger und heftiger“
Seit Beginn der Pandemie ist es für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst noch härter geworden: Die Angriffe sind laut Innenminister Herbert Reul „nicht nur häufiger, sondern auch heftiger“ geworden, ließ er in Zusammenhang mit der Vorstellung eines neuen Sicherheitsnetzwerks im Düsseldorfer Innenministerium verlauten. Auch Susanne Aumann und Nicole Schorn von der dbb jugend nrw waren dabei. Denn sie unterstützen die Arbeit des neu aufgebauten Präventionsnetzwerks schon seit vielen Wochen durch ihr praktisches Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Kontakte. Ziel des Präventionsnetzwerks, das man unter www.sicherimdienst.nrw online finden kann: Arbeitsplätze sicherer machen, Gefahrensituationen aufzeigen und konkrete praxistaugliche Empfehlungen zum Umgang damit geben.
Rund 450 Mitarbeiter aus 200 Behörden, Institutionen, Verbänden und Organisationen haben sich in den letzten Monaten dem neu gebildeten Netzwerk angeschlossen.
Konkrete Empfehlungen für mehr Sicherheit
So will Innenminister Reul einen breiten Schutzschild auffahren und zudem zeigen, wie man sich als Beschäftigter im Öffentlichen Dienst „wappnen“ kann. Online finden Einsatzkräfte, Innendienstler mit Publikumsverkehr oder auch Lehrkräfte Empfehlungen dazu, wie an ihrem Arbeitsplatz durch baulich-technische Maßnahmen, bessere Organisation und Gefahrenbewertung Vorsorge getroffen werden kann.
Zudem wird Behörden als Arbeitgeber konkretes Rüstzeug wie die Installation eines Alarmsystems an die Hand gegeben. Innerhalb der Plattform finden sich daneben Rechtsgrundlagen und Informationen zu Strafverfahren und Entschädigungsansprüchen.
Netzwerk soll in den nächsten Monaten weiter wachsen
Die Arbeit innerhalb des Netzwerks ist mit der ersten Präsentation nicht abgeschlossen. In den nächsten Monaten sollen sich noch mehr Menschen anschließen können und gemeinsam noch mehr Ideen für mehr Sicherheit im Dienstalltag erarbeiten.
Aumann und Schorn zeigen sich sehr zufrieden mit den ersten Ergebnissen. „Alle Beteiligten haben eine sehr starke Motivation zur Mitwirkung gezeigt“, sagt Aumann. Diese sei deshalb so groß, weil die Expertinnen und Experten meist selbst betroffen sind und so viel Praxiswissen beisteuern konnten.
Durch die Kampagne des Innenministeriums werde deutlich, dass die Politik verstanden habe, worum es geht, und dass etwas getan werden muss. „Das ist ein guter Anfang“, sagt Schorn. Doch sieht sie auch weiteren Handlungsbedarf: Bei der Realisierung von Schutzkonzepten hapere es manches Mal an finanziellen Möglichkeiten. „Den Kommunalverwaltungen werden zwar zum Teil Aufgaben vom Bund übertragen, sie bekommen vom Bund jedoch kein Geld zum Schutz der Beschäftigten“, sagt Schorn. Solchen Themen aufzugreifen, stelle aus ihrer Sicht ein Potenzial für die weitere Arbeit des Präventionsnetzwerks dar.
Wie es weitergeht
Gelegenheit, über solche Inhalte zu reden, wird es sicher geben. Nach der Vorstellung des Sicherheitsnetzwerks geht es gleich in die nächste Runde: Nach einem Beschluss des Landeskabinetts soll das frisch vorgestellte Netzwerk weiter ausgebaut werden. Dazu gibt es eine digitale Auftaktveranstaltung. Bei dieser wird Aumann gemeinsam mit der Expertin für Arbeitssicherheit der Stadt Aachen, Katrin Päßler, über ihre Erfahrungen in Sachen Gewaltprävention sprechen. In Aachen wurde vor Jahren ein Sicherheitskonzept eingeführt und konsequent verfolgt. Das könne laut Aumann anderen Behörden eine Idee davon geben, was man konkret tun kann, um Beschäftigte besser zu schützen.