dbb jugend nrw im Gespräch mit NRW-Justizminister Biesenbach
17.03.2022 | Im Gespräch

„Niemand muss Übergriffe im Dienst für das Gemeinwohl hinnehmen“

Wie geht die Justiz in NRW mit der zunehmenden Gewalt gegen Öffentlich Bedienstete um? Wie kann der Respekt vor den Beschäftigten gesteigert werden und was kann man tun, wenn man Opfer von Hate Speech geworden ist? Wir haben nachgefragt – beim Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen Peter Biesenbach.

 

Durch ihre Kampagne „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ kann die dbb jugend nrw nicht nur einen Anstieg der körperlichen Angriffe auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst verzeichnen. Auch die Zunahme von Straftaten im Internet wird hier deutlich. Wie geht die Justiz in NRW konkret damit um? Was wird dagegen unternommen?

 

Biesenbach: Vermehrte körperliche und verbale Übergriffe auf Polizisten, Rettungskräfte und andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst, ehrenamtliche Helfer sowie auch Amts- und Mandatsträger sind schon seit Längerem Gegenstand einer breiten öffentlichen Diskussion. Über den strafrechtlichen Schutz dieser Berufsgruppen, der ein nachdrücklich verfolgtes Anliegen der Landesregierung ist, habe ich mich daher mit meinen Amtskolleginnen und Amtskollegen der anderen Bundesländer bereits auf unserer Frühjahrskonferenz im Jahr 2019 befasst und eine besorgniserregende Zunahme der Verrohung von Umgangsformen in der Gesellschaft festgestellt. Weil hieraus Gefahren für das gesellschaftliche Zusammenleben erwachsen können, haben wir die seinerzeitige Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz gebeten, unter Beteiligung der Länder zu prüfen, ob das geltende Strafrecht, insbesondere der Straftatbestand der Bedrohung nach § 241 StGB, geeignet ist, strafwürdige Gewaltandrohungen ausreichend zu erfassen.

 

Im Anschluss daran legte die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität mit dem Ziel vor, die Strafverfolgung in diesem Bereich zu intensivieren und effektiver zu gestalten sowie u. a. auch stark aggressivem Auftreten, Einschüchterung und Androhung von Straftaten in der Öffentlichkeit entgegenzuwirken. Aufgrund des entsprechenden Gesetzes vom 30.03.2021 ist nunmehr – neben anderen Strafschärfungen – u. a. die öffentlich begangene Bedrohung als neuer Qualifikationstatbestand in § 241 Abs. 3 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von 2 Jahren bzw. bei Drohung mit einem Verbrechen mit Freiheitsstrafe von 3 Jahren bedroht. Auch werden seitdem Personen, die im ärztlichen Notdienst oder in einer Notaufnahme Hilfe leisten, wie andere bereits erfasste Hilfeleistende besonders vor Drohungen und Gewalthandlungen geschützt (§ 115 Absatz 3 StGB). Erfahrungswerte, ob die jüngst eingeführten bzw. verschärften Strafrahmen ausreichen, den Anfeindungen und Angriffen insbesondere auf Amtsträger und Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu begegnen, liegen meinem Haus bislang noch nicht vor. Die Entwicklung unterliegt jedoch einer genauen Beobachtung.

 

Im Übrigen hat das Ministerium der Justiz mit Rundverfügung vom 23.07.2021 den Staatsanwaltschaften des Landes Nordrhein-Westfalen Richtlinien für die Sachbehandlung bei Straftaten zum Nachteil u. a. von Amtsträgern und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes an die Hand gegeben. Hierin wird nun ausdrücklich klargestellt, dass eine Einstellung des Verfahrens mangels öffentlichen Interesses nach § 153 Absatz 1 bzw. § 153a Absatz 1 StPO oder eine Verweisung auf den Privatklageweg in den entsprechenden Fallkonstellationen regelmäßig nicht mehr in Betracht kommt.

 

Flankierend hierzu hat mein Haus mit einer Neufassung der Anordnung über Organisation und Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaft (OrgStA) dafür Sorge getragen, dass Verfahren wegen Straftaten zum Nachteil von Amtsträgern, Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder Rettungskräften in staatsanwaltschaftlichen Sonderdezernaten gebündelt bearbeitet werden können. Mehrere große nordrhein-westfälische Staatsanwaltschaften haben bereits von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und sich für die konzentrierte Bearbeitung entsprechender Verfahren entschieden. Schließlich habe ich die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW), die bereits ein besonderes Augenmerk auf die Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz hatte, weiter gestärkt. Zur effektiveren Bekämpfung von strafbaren Inhalten im Netz, zu denen auch Hasskommentare gehören, ist gerade die Anzahl der für die Verfolgung zuständigen Ermittler von vier auf zwölf erhöht worden.

 

Der Respekt vor politischen Amtsträgern wie auch den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst lässt nach. Die Zahl verbaler und körperlicher Angriffe auf diese Personengruppen nimmt hingegen zu. Wie kann – Ihrer Meinung nach – der Respekt sowohl vor den Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes als auch vor den Politikern gesteigert werden?

 

Biesenbach: Lassen Sie es mich ganz klar und entschieden ausdrücken: Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen verurteilt jegliche Form von Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst und setzt sich für ihren Schutz und ihre Sicherheit ein. Niemand muss Übergriffe und gewalttätiges Verhalten im Dienst für das Gemeinwohl hinnehmen.

 

Mit Ihrem Engagement und Ihrer Arbeit leisten auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz täglich einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft. Sie sorgen dafür, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen gut leben können, und bilden damit einen Grundpfeiler unseres Gemeinwesens. Es ist zutreffend, dass auch sie immer häufiger mit aggressivem Verhalten, verbalen Anfeindungen und physischen Angriffen konfrontiert werden. Es kommt zu Beleidigungen, Bedrohungen bis hin zu körperlicher Gewalt. Berichte zu besonderen Vorkommnissen und Übergriffen auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind traurige Realität – auch in der Justiz, weshalb sie sich in eine ressortübergreifende Initiative eingebracht hat.

 

Die dabei in einer interministeriellen Arbeitsgruppe entwickelte und von der Landesregierung beschlossene NRW-Initiative „Mehr Schutz und Sicherheit von Beschäftigten im öffentlichen Dienst“ mit ihrer eigens erstellten Internetseite „Sicher im Dienst“ setzt hier nicht nur ein Signal. Teil der Initiative ist auch ein landesweites und unter Federführung des Ministeriums des Innern gegründetes ressortübergreifendes Präventionsnetzwerk, das sich in Nordrhein-Westfalen für mehr Schutz im öffentlichen Dienst mit einer eigenen Internetseite stark macht. Ein Anfang ist hier gemacht. Zusammen mit einem eigens entwickelten Präventionsleitfaden sollen die vorgenannten Webseiten umfangreiche Informationen zur Sicherheit bei der Ausübung der Tätigkeit im öffentlichen Dienst bereitstellen, erste Hilfestellungen geben und durch weiterführende Informationen ein größtmögliches Informationsangebot verfügbar machen.

 

Nicht unerwähnt lassen möchte ich in diesem Zusammenhang daneben aber zugleich auch und beispielhaft eine bedeutsame praktische Ausprägung meines Gegensteuerns. moNA, das mobile Notruf- und Alarmierungssystem für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Außendienst. Hier gab es bislang keine technische Unterstützung für besondere Notsituationen. Das ändere ich. Der landesweite Rollout läuft. Bis zu 1.400 Alarmierungsgeräte werden in diesem Jahr landesweit in das Notruf- und Alarmierungssystem eingebunden. Wie ich finde, gut und zielgerecht investiertes zusätzliches Geld aus dem Landeshaushalt für ein mehr an Sicherheit.

 

Was können aus Ihrer Sicht Betroffene aus dem öffentlichen Dienst tun, wenn sie im Job Opfer von Hate Speech im Netz werden?

 

Biesenbach: Menschen, die für den Staat und seine Institutionen tätig sind, gerade auch Justizangehörige, sind nicht selten im Zusammenhang mit ihrer Amtsausübung, oftmals anlässlich einzelner Entscheidungen, Hassattacken im Netz ausgesetzt. Unser Beruf bringt es mit sich, dass wir oftmals auch unerfreuliche Entscheidungen treffen oder überbringen müssen, wenn das Gesetz es so will. Eine einzige unliebsame Entscheidung reicht den Betroffenen manchmal aus, um den „Überbringer“ – unter Ausnutzung der vermeintlichen Anonymität im Internet – anzugehen. Betroffene Bedienstete sind dann keinesfalls allein! Sie sollten sich immer zunächst an ihre Vorgesetzten wenden, um mit ihnen gemeinsam alles Notwendige zu tun, um dieser Grenzüberschreitung zu begegnen. Das schließt im Einzelfall in der Regel die zeitnahe Erstattung einer Strafanzeige ein.

 

Von besonderer Wichtigkeit ist dabei, dass entsprechende Beweise für Polizei und Justiz äußerst zeitnah, etwa durch Abspeichern der Äußerung oder einen Screenshot des Hasskommentars, gesichert werden, damit diese später vor Gericht als Beweismittel vorgelegt werden können. Mit Blick auf die mitunter kurzen Speicherfristen der Internetprovider empfiehlt sich in aller Regel ein zügiger Gang zur Polizei. Nur dann ist sichergestellt, dass die digitalen Spuren des Verursachers im Internet auch schnellstmöglich ermittelt werden können.

 

Wie schätzen Sie das Engagement der dbb jugend nrw in Sachen „Gewalt gegen Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes“ ein?

 

Biesenbach: Ich weiß, dass das Thema „Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst“ eines der Schwerpunktthemen ist, denen sich die dbb jugend nrw seit Jahren intensiv widmet. Ihre Homepage, auf der Sie kontinuierlich aktuelle Meldungen zu dem Thema veröffentlichen, ist sehr informativ. Ihre Kampagnen mit dem Ziel, auf Übergriffe auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst aufmerksam zu machen, stoßen auf großes Interesse. Ihr Engagement auf diesem Gebiet verdient Respekt und Anerkennung. Ich kann nur sagen: „Weiter so!“

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