Wie Anfeindungen das Risiko psychischer Erkrankung erhöhen
11.02.2020 | Betroffenenberichte

Oft psychische Last bei der Arbeit zu wenig beachtet

Es muss nicht gleich die Faust im Gesicht sein, die einen verletzt. Auch psychische Belastungen können schwer wiegen und die Gesundheit ruinieren. Darum soll der Arbeitgeber genau das in der Gefährdungsbeurteilung für jeden Arbeitsplatz erfassen. In der Praxis ist dies jedoch häufig nicht so.

 

„Ich bin ja kein Arzt, ich habe hier keine Couch stehen“, das hört Mathias Knust häufiger von Arbeitgebern, wenn es um psychische Belastungen und deren Vermeidung am Arbeitsplatz geht. Knust ist stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft (BTB NRW) und Gewerbeaufsichtsbeamter bei der Bezirksregierung Arnsberg. Sein Job dreht sich um die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften. Dabei geht es nicht nur Schutzhelme, Sicherheitsbrillen oder Schutzhandschuhe, die dabei helfen, die körperliche Unversehrtheit sicherzustellen. Es geht auch darum, Bereiche ausfindig zu machen, in denen psychische Belastungen auftreten können und dort Abhilfe zu schaffen. „Denn Arbeitgeber müssen auch bezüglich der psychischen Belastung nach technischen, organisatorischen oder persönlichen Maßnahmen zu suchen, um Sorge für einen sicheren Arbeitsplatz zu tragen“, sagt Knust.

 

Psychische Belastung hat nichts mit „Weichei“ zu tun

 

Für seine Arbeit braucht Knust manchmal ein wenig detektivisches Gespür. Wenn es nämlich darum geht, herauszufinden, ob nur ein einzelner etwas so empfindet oder ob die Arbeitssituation für mehrere Beschäftigte zum Problem werden kann.

 

Psychische Belastung – das wird oft missgedeutet und als „Weichei-Dasein“ verstanden. Oft bringt man psychische Erkrankungen damit in Zusammenhang, die therapeutisch auf der Couch enden. Doch stehen bei betrieblichem Arbeitsschutz vor allem ganz handfeste Dinge im Fokus wie Arbeitsbelastung, Stress, Über- und Unterforderung sowie Erleichterungsmechanismen. „Wenn in der Pflege immer kürzere Zeitintervalle zur Versorgung von Pflegebedürftigen angesetzt werden, dann kann das zur psychischen Überlastung beitragen“, sagt Knust.

 

Was alles zur Last werden kann

 

Knust kennt viele Beispiele aus der Praxis, in der es manchmal nur um Kleinigkeiten geht, die aber auf Dauer zur großen Last werden können. Wird beispielsweise eine neue EDV eingeführt, kann dies zwar langfristig eine zeitliche Erleichterung bedeuten, in der Zeit der Umstellung aber auch eine Mehrbelastung sein. Mehrbelastung wiederum bringt Unzufriedenheit und Stress mit sich: Das Wohlbefinden leidet. Eine ganz einfache Abhilfemöglichkeit liege darin, vor der Beschaffung neuer Systeme zum Beispiel die Belegschaft miteinzubeziehen und Fehlerquellen oder Problembereiche vorher aufzuspüren. „Die Beteiligung und Mitbestimmung trägt zur Akzeptanz und zum Wohlbefinden bei“, sagt Knust.

 

Ein anderes Beispiel, das in öffentlichen Verwaltungen häufiger eine Rolle spielt: Alleinarbeit im Büro. Besonders zu Randzeiten oder in baulich verschachtelten Gebäuden kann es dazu kommen, dass Beschäftigte alleine sitzen. „Gibt es bei langen Diensten die Möglichkeit der Einzahlung von Forderungen in eine Handkasse, kann das zu einem Risiko werden“, sagt Knust.

 

Darum sieht er in solchen Fällen Handlungsbedarf, um die Beschäftigten vor Übergriffen zu schützen. Es sei fraglich, ob dann eine Notruffunktion per Tastenkombination auf der Computer-Tastatur als technische Schutzmaßnahme ausreichend sei. „Da muss der Arbeitgeber ran und weitere organisatorische Maßnahmen gewährleisten wie zum Beispiel eine doppelte Besetzung in diesen Zeiten“, sagt er.

 

Auch dauernde Beschimpfungen belasten

 

Doch auch körperliche und verbale Gewalt können Ursachen für psychische Belastung sein: Insbesondere Politessen, Mitarbeiter in Sozialämtern oder Busfahrer erleben diese häufig im Umgang mit Kunden. Mal sind es alkoholisierte Fahrgäste, ein anderes Mal aufgebrachte Bürger. Auch Beschäftigte vieler anderer Bereiche erleben das immer häufiger. „Solche Situationen kann man zum Beispiel ganz konkret dadurch entschärfen, dass man die Beschäftigten nicht alleine in Brennpunkte gehen lässt“, sagt Knust. Für die Politessen heißt das: Um psychische Belastungen zu reduzieren, kann es für den Arbeitgeber notwendig werden, zu bestimmten Uhrzeiten oder in bestimmte Bereichen Zweierteams zu entsenden und diese entsprechend auszurüsten.

 

Dazu gehört auch, dass in Berufen, die mit besonderen Belastungen verknüpft sind, Ansprechpartner zur Krisenintervention zur Verfügung stehen. „Besonders in traumatisierenden Situationen kann es nötig werden, Beschäftigten gleich die Option zu geben aus der Situation zu gehen“, sagt Knust. Das heißt konkret: den Beschäftigten nach einem Übergriff aus dem aktuellen Geschehen zu nehmen. Auch eine professionelle Nachbetreuung sollte aus seiner Sicht bereits im Vorfeld organisiert sein.

 

Schutz über den Arbeitsplatz hinaus

 

Dabei gilt es nicht nur, adäquat auf ein psychisch belastendes Ereignis zu reagieren, sondern dessen Eintreten nach Möglichkeit präventiv zu verhindern. Beschäftigte von Arbeitsämtern, Lebensmittelkontrolleure oder Steuerfahnder – in vielen Beschäftigungsfeldern kann der persönliche Schutz über den Arbeitsplatz hinaus sinnvoll sein. Drohungen wie „Ich finde raus, wo du wohnst“ oder mitten im Gespräch fallen gelassene Aussagen wie „Haben Sie Kinder?“ oder „Wie geht es Ihrer Familie?“ würden an Bedrohung verlieren, wenn für Beschäftigte diese Bereiche grundsätzlich eine Auskunftssperre im Melderegister möglich wäre.

 

Meist sind das jedoch Einzelfallentscheidungen, denen man mit Nachdruck selbst nachgehen muss. Das weiß auch Mathias Knust aus eigener Erfahrung. „Ich bin auch schon einmal im Außendienst bedroht worden“, sagt er. Seit Mai 2019 versucht er nun mit Unterstützung seiner Dienststelle, die entsprechenden Auskunftssperren durchzusetzen. Doch die Hürden für diese effektive Schutzmaßnahme seien unwahrscheinlich hoch.

 

Hinzu komme: Nicht immer sei nachvollziehbar, aus welchem Grund die Umsetzung nicht erfolge. Knust erinnert sich an das Beispiel eines Streifenbeamten, der die Auskunftssperre nicht bekommen habe. „Sein Vorgesetzter hingegen bekam sie.“ Der Grund, der oftmals bei der Ablehnung genannt werde: Es müsse zunächst etwas vorgefallen sein. „Dies widerspricht dem Grundgedanken des Arbeitsschutzes“, sagt Knust.

 

Tipps für die Praxis

 

Sein Rat in allen Fragen rund um den Bereich des Arbeitsschutzes: „Wenn man mit seinem Anliegen beim Arbeitgeber nicht weiterkommt, gibt es noch andere Akteure. Auch der Betriebs- und Personalrat sowie die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder Arbeitsmediziner können oft mit ihrer Fachkompetenz helfen.“ Sollte das dann immer noch nicht reichen, gibt es in NRW die Gewerbeaufsichtsbeamten. Diese sind in den Bezirksregierungen angesiedelt. Als Sonderbehörden seien diese für die Beratung, Einhaltung und Überwachung und Ahndung der gültigen Arbeitsschutzvorschriften zuständig.

 

Fazit: In allen Angelegenheiten rund um den Arbeitsschutz ist in erster Linie der Arbeitgeber der Adressat. Er hat Sorge dafür zu tragen, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu sichern und zu verbessern. Dies schließt auch die psychische Belastung bei der Arbeit mit ein – so ist es in § 5 Abs. 3, Nr. 6 Arbeitsschutzgesetz geregelt.

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