Übergriffe auf Lehrer auf besorgniserregendem Niveau
13.02.2020 | Bestandsaufnahme

Eltern an Schulen – ein wachsendes Problem

Drohungen, Ausraster und unkooperative Eltern – nach dem Start des neuen Schulhalbjahres werden sich Lehrer erneut auf solche Ereignisse einstellen müssen. Eltern sind laut einer Umfrage zu einem der größten Probleme im Schulalltag geworden.

 

Diskussionen über Sanktionsmaßnahmen, Gerede über den Umfang von Hausaufgaben, Widerspruch gegen Notengebung in Klassenarbeiten oder auf dem Zeugnis – all das sind Situationen wie sie in der Elternarbeit an allen Schulen vorkommen können. Das Problem allerdings: Solch konfrontative Auseinandersetzungen mit Eltern häufen sich immer mehr. Zwanzig Prozent der bayerischen Lehrer fühlen sich psychisch bedroht. Laut einer gerade veröffentlichten Studie des dbb Hessen erleben 80 Prozent der Lehrer im Laufe ihres Berufslebens Beleidigungen.

 

Wenn Lehrer zu Opfern werden, ist das ein Tabuthema

 

Doch Gewalt an Schulen ist ein Tabuthema. Werden Lehrer zu Opfern, erstatten diese fast nie Strafanzeige. Und das, obwohl laut der Studie aus Hessen rund die Hälfte der Lehrer die Schulleitung über die Übergriffe informiert. Nur in weniger als einem Prozent der Fälle kommt es zur Anzeige.

 

Angreifer sind nicht nur Schüler. Ein wachsendes Problem stellen dabei offenbar Eltern im Schulalltag dar. Das ergab eine im Herbst 2019 erschienene forsa-Umfrage im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Für diese wurden bundesweit Schulleiter befragt.

 

Eine Konsequenz aus diesen Erkenntnissen: Der VBE fordert, frühzeitig Deeskalationsstrategien zum Thema zu machen – am besten bei der Ausbildung und noch intensiver als dies derzeit erfolge. In Bayern fordern Lehrerverbände mehr Unterstützung von der Landesregierung. Sie müsse sich des Themas annehmen und als Dienstherr mehr für den Schutz der Beschäftigten tun. In Hessen fordern Betroffene ein konsequenteres Durchgreifen der Justiz und mehr Unterstützung durch den Dienstherrn bzw. Arbeitgeber.

 

Was den Schulalltag belastet

 

Was aber führt dazu, dass Lehrer ihre Arbeit als belastend wahrnehmen? Lehrermangel, Inklusion und die Ausstattung im Schulgebäude gehören zu den größten Schulproblemen wie eine Umfrage zeigte. Darunter auch: die Eltern. Sie werden mehr und mehr zum Problem, so empfinden es zumindest die Lehrer. 18 Prozent der Befragten gaben im Jahr 2019 die Erziehungsberechtigten als Erschwernis im Arbeitsbetrieb Schule an. Darin zeigt sich ein leichter Aufwärtstrend gegenüber dem Vorjahr.

 

Wortgefechte und körperliche Gewalt

 

Was die Lehrer beobachten: Immer mehr Eltern gehen gegen Lehrkräfte vor. Dabei bleibt es offenkundig nicht immer nur bei Wortgefechten. Damals gab rund jeder vierte Lehrer an, schon einmal Opfer psychischer Gewalt, Bedrohung und Diffamierung geworden zu sein. In NRW gaben acht Prozent der Lehrkräfte an, bereits körperlich angegriffen worden zu sein.

 

Stein des Anstoßes können aus Erfahrung der Lehrer eine vermeintlich ungerechte Behandlung sein oder die Auseinandersetzung über unterschiedliche Leistungseinschätzung eines Schülers. Dabei habe auch die Bereitschaft zugenommen, gegen Zeugnisse Widerspruch einzulegen, sagt Anke Staar, Vorsitzende der Landeselternkonferenz NRW gegenüber der Westdeutschen Zeitung.

 

Ständiger Rechtfertigungsdruck

 

Was viele Lehrer zudem als Last empfinden beschreibt Saskia Bläsius, Vorstandsmitglied der dbb jugend nrw: „Man steht unter ständigem Rechtfertigungsdruck.“ Die Eltern kämen mit vorgefertigten Meinungen in gemeinsame Gespräche und würden dann ausschließlich die Schilderung des eigenen Kindes wahrnehmen.

 

Auch Stefan Behlau, Vorsitzender des VBE NRW, bestätigt diese Erfahrung: “Oftmals wird vergessen, dass es mindestens zwei Seiten der Darstellung gibt.“ Der einfachste Weg sei, das im Gespräch miteinander zu klären. „Eltern und Lehrer sollten sich in einer Erziehungspartnerschaft sehen“, sagt Behlau. Oft sei jedoch das Gegenteil der Fall. Statt gemeinsam zum Wohl des Kindes an einem Strang zu ziehen, werde manches Mal emotional überreagiert. Zum Alltag gehören dabei Beschimpfung oder Nötigung auf digitalem Wege – also übers Internet, per E-Mail oder in Chats. Und das schon in der Grundschule.

 

Wachsende Respektlosigkeit macht sich breit

 

Das Problem: E-Mails und WhatsApp-Nachrichten würden oft im Affekt geschrieben und seien dann entsprechend subjektiv und emotional formuliert. „Würde das ein Schüler erleben, spräche man von Mobbing oder Bullying“, sagt Behlau. Anders würde es dann jedoch gesehen, wenn es um die Haltung gegenüber dem Lehrer gehe. Man beobachte eine wachsende Distanz- und Respektlosigkeit vieler Eltern. Auch habe die Bereitschaft, auf Ratschläge der Lehrkräfte einzugehen und mit der Schule zu kooperieren, spürbar abgenommen. Viele Eltern versuchten, ihre Vorstellungen mit allen Mitteln durchzusetzen, sagt Saskia Bläsius. Doch Konflikte dürfen nicht in Gewalt eskalieren.

 

Angehende Lehrer müssen noch besser vorbereitet werden

 

Um solch eskalierende Situationen in Zukunft noch besser vermeiden zu können, pocht der VBE darauf, bereits in der Ausbildung von Lehrkräften verstärkt Deeskalationsstrategien zu verankern. „Im zweiten Teil der Lehrerausbildung, dem Referendariat, kommen angehende Lehrer in Beratungssituationen“, sagt Behlau. Wichtig sei jedoch, diese vorher bereits vertieft und geübt zu haben. Darum fordert er, dass Kommunikationsstrategien für schwierige Elterngespräche als inhaltlicher Teil in der Ausbildung und später in der Lehrerfortbildung noch weiter ausgebaut werden.

 

Zudem sei die Politik gefragt. „Von politischer Seite her muss überlegt werden, was man noch alles von Schule haben will und was wir uns das kosten lassen“, sagt der VBE-Landesvorsitzende aus NRW. Die Anforderungen an Schule – sei es hinsichtlich der Inklusion oder in Bezug auf die Ganztagsschule – sei immer weiter gewachsen. Die Ressourcen jedoch seien in all der Zeit immer gleich geblieben. Hier müssten neue Voraussetzungen geschaffen werden.

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