Pandemie macht die Situation in Zügen nicht leichter
17.12.2020 | Bestandsaufnahme

Pandemie macht die Situation in Zügen nicht leichter

Endlose Diskussionen über das Tragen von Mund-Nasen-Schutz – in den Zügen führt das in der täglichen Arbeit des Zugpersonals zu zusätzlichen Konflikten mit Reisenden. Die waren auch vor der Pandemie schon häufig und sorgten für Angriffe auf Zugbegleiter und Lokführer. Die Situation wird nun immer dramatischer.

 

Mit Fausthieben ins Gesicht malträtiert ein Bahngast einen Zugbegleiter auf der Zugstrecke von Köln nach Düsseldorf vor einigen Wochen. Der Bahnbedienstete hatte ihn nach seinem Fahrschein gefragt. In Pandemiezeiten ist der Ton noch rauer geworden. Zwar gibt es noch keine Zahlen, doch berichten die Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) unter anderem von der Zunahme der Konflikte durch Maskenverweigerer.

 

Auf jeden Zugbegleiter pro Jahr durchschnittlich zwei Angriffe

 

Dabei stellte die GDL bereits vor Beginn der Pandemie das Signal auf Rot: Denn die Übergriffe auf Beschäftigte der Zugunternehmen nehmen immer weiter zu. Das zeigt eine Umfrage, die die Fachgewerkschaft seinerzeit unter ihren Mitgliedern machte. 2.500 Zugbegleiter und Lokführer beteiligten sich daran. Das Ergebnis: Jeder von ihnen wurde mehr als zweimal im Jahr Opfer körperlicher Gewalt. Daneben berichteten die Befragten durchschnittlich von mehr als 21 Beleidigungen und neun Bedrohungen im Jahr. 3,5 Mal im Jahr wird das Zugpersonal den eigenen Angaben zufolge im Jahr bespuckt.

 

„Wir sind erschüttert über das, was wir mit dieser Befragung herausfinden mussten“, sagt Claus Weselsky, Vorsitzender der GDL. Denn noch gut hat er die Ergebnisse einer ersten Umfrage aus dem Jahr 2016 in Erinnerung. Schon diese sorgte damals für Bestürzung unter den Gewerkschaftern und in der Öffentlichkeit. Inzwischen ist die Zahl der Übergriffe weiter gestiegen.

 

Nach der ersten GDL-Umfrage außer Entsetzen nichts gewesen

 

Zwar kündigten die Arbeitgeber nach der ersten Umfrage an, dazu beitragen zu wollen, dass sich die Situation für die Beschäftigten verbessert. Offenbar, so resümiert Weselsky heute, seien auf die bestürzten Ankündigungen oft keine Taten gefolgt. Immer noch gebe es Vorgesetzte, die solche Vorfälle abtäten.

 

„Die neuerliche nun auch wissenschaftlich begleitete Umfrage zeigt, was unsere Kolleginnen und Kollegen täglich erleben“, sagt er. Dabei falle auf, dass vor allem die Zahl persönlicher Angriffe hoch sei. Diese reichen von üblen Beleidigungen bis hin zu bedrohlichen Situationen, wenn Zugbegleiter nach dem Dienst im Zug nach Hause fahren und als Begleiter erkannt werden, heißt es aus GDL-Kreisen. Dort weiß man von zahlreichen Vorfällen zu berichten. Beispielsweise von einem Zugbegleiter, der von einem Jugendlichen eine Treppe hinuntergestoßen wurde und in Folge dessen Schädelverletzungen erlitten hatte, die ihn zuletzt dienstuntauglich machten. Auslöser für den Ausraster: Der Zugbegleiter hatte den Jugendlichen gebeten, seine Füße vom Sitz zu nehmen.

 

Arbeitsfrust und Sorge machen krank

 

Solche Zwischenfälle bleiben nicht folgenlos: Frust und Ärger sei bei der Arbeit die vorherrschende Gefühlslage des Bahnpersonals. Das schlage sich in den Krankheitsstatistiken nieder und auch in der Motivation der Beschäftigten. Prävention und Nachsorge fielen hingegen hinter dem Bedarf des Personals zurück und liegen nach Einschätzung der befragten Mitarbeiter maximal im Mittelmaß. Die Folgen sind erkennbar. Laut der aktuellen Studie zeigt sich, dass sich immer häufiger langfristige gesundheitliche Belastungsfolgen zeigen. Das Bahnpersonal weist einen schlechteren Gesundheitszustand auf.

 

„Rund 80 Prozent der Beschäftigten erreichen aufgrund psychischer Verletzungen und in Folge körperlicher Angriffe nicht mehr das Rentenalter“, sagt Michael Bublies, Referent der GDL. Nach Auffassung der Fachgewerkschaft sei das kein persönliches, sondern ein gesellschaftliches Problem.

 

Was die Untersuchung der GDL zudem ergab: Durch ihren direkten Kontakt zu den Fahrgästen sahen sich die Zugbegleiter in deutlich höherem Umfang Beleidigungen ausgesetzt, als die Lokführer – und das schon in jungen Jahren. Das senkt laut GDL die Aussicht darauf, lange im Berufsleben zu verbleiben. Darum fürchtet die GDL in Folge dessen einen Anstieg bei den Frühverrentungen.

 

Was die Gewerkschaft den Unternehmen rät

 

Die GDL sieht darum an vielen Stellen Verbesserungsbedarf. Um erst einmal herauszufinden, wie das eigene Unternehmen aufgestellt ist und wie sicher sich die Beschäftigten dort fühlen, rät die GDL jeweils zu unternehmensinternen Umfragen. Dann könne man sehr spezifisch und passgenau Präventions- sowie Nachsorgemöglichkeiten anpassen.

 

„Bahnpersonal wird zwar regelmäßig im Vorgehen nach Bahnunfällen unterwiesen, Angebote zur Prävention und Nachsorge hingegen gibt es kaum“, sagt Michael Bublies. Es gebe eine hohe Dunkelziffer an psychischen Erkrankungen, denn bei vielen sei bei seelischem Leid die Sorge groß, sich an den Betriebsarzt zu wenden. Man könnte jedoch viel erreichen, wenn beispielsweise die Vorgesetzten eine Nachsorge nach psychisch belastenden Ereignissen wie beispielsweise Unglücken oder auch Angriffen ernst nähmen. Manchmal werde jedoch sehr robust und nach dem Motto „Du wusstest ja, worauf du dich da einlässt“ mit Beschäftigten umgegangen.

 

Darum pocht die Gewerkschaft darauf, dass nicht nur die Sicherheit erhöht wird, sondern auch Führungskräfte entsprechend geschult werden, damit sie so in der Lage sind, ihrer Fürsorgepflicht angemessen nachzukommen.

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