06.03.2023 | Im Gespräch

Wie man Staatsbedienstete besser vor Gewalt schützen könnte

Wenn Menschen nichts mehr zu verlieren haben oder sich in der Gesellschaft außen vor fühlen, dann neigen sie eher zu Gewalt. – Einsatzkräfte, aber auch Beschäftigte in vielen kommunalen Behörden bekommen, das oft zu spüren. Gewaltforscher Ulrich Wagner über neue Ideen, wie sich die Zunahme von Gewalt ausbremsen ließe.

 

Als Arschloch beschimpft zu werden oder die Faust ins Gesicht zu bekommen, ist nicht das Gleiche. Bis vor die Haustüre verfolgt zu werden oder angedroht zu bekommen, verletzt zu werden oder ein Schlag auf die Nase schon, sagt Gewaltforscher Ulrich Wagner von der Philipps-Universität Marburg. Staatsbedienstete in sensiblen Bereichen oder mit viel Publikumsverkehr kennen meist beides.

 

Schaffnern passiert beides: Sie werden beschimpft, aber manchmal auch körperlich angegriffen. Sind verbale Ausraster also gar nicht so schlimm?

 

Ulrich Wagner: Ich möchte Beschimpfungen nicht bagatellisieren. Aber physische Gewalt hat im Unterschied zu verbaler Gewalt andere Konsequenzen für den Schaffner und auch die Ursachen sind unterschiedliche. Deshalb lege ich so großen Wert darauf, das auseinanderzuhalten. Und der juristische Umgang mit physischer Gewalt und Beleidigung sollte auch unterschiedlich sein.

 

Was meinen Sie damit?

 

Ulrich Wagner: Ich bin schon seit Jahren unzufrieden damit, dass physische Gewalt vor Gerichten nicht bevorzugt behandelt wird. Wenn jemand zusammengeschlagen wird, dann muss der Täter unmittelbar zur Verantwortung gezogen werden. Wenn jemand beschimpft wird, ist das auch übel und dem muss auch nachgegangen werden, aber das hat nicht dieselbe Dringlichkeit. Dabei ist es psychologisch betrachtet gar nicht so wichtig, wie hoch die Strafe ist. Viel wichtiger ist, dass die Strafe möglichst unmittelbar auf die Tat erfolgt. Gerade im Jugendstrafrecht dauert es jedoch manchmal ewig und die jugendlichen Täter können sich, wenn es endlich zum Prozess kommt, schon gar nicht mehr erinnern, worum es eigentlich geht. Das darf nicht sein. Es muss schneller gehen bei Gewalttaten. Dies setzt allerdings hinreichende Stellenausstattung vor allem im Bereich der Staatsanwaltschaften und Gerichte voraus.

 

Das erweckt jetzt den Anschein, als seien die meisten Täter jung. Ist das denn so?

 

Ulrich Wagner: Die PKS 2021 zeigt einen Anstieg bei Gewalttaten ab einem Alter von 16-18 Jahren und dann bis ca. 26 Jahre. Ab 28 wird es weniger. Wenn wir über physische Gewalt reden, sind es fast immer junge Männer.

 

Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass Übergriffe auf Kolleginnen und Kollegen im Öffentlichen Dienst losgelöst vom Alter quer durch alle Alters- und Bevölkerungsschichten ausgehen können.

 

Ulrich Wagner: Natürlich gibt es solche Situationen wie: überfüllte Klinik, Eltern mit Kleinkind, Atembeschwerden, kommen in der Notaufnahme nicht dran, weil sie völlig überlaufen ist. Das ist eine Situation, in der es zuweilen zu Ausrastern und Beschimpfungen kommt. Vielleicht sogar zu Übergriffen. Aber ich glaube, dass es im Vergleich zu den anderen beschriebenen Situationen selten vorkommt, dass es dort zu physischen Übergriffen kommt.

 

In vielen Behörden gibt es präventive Sicherheitskonzepte oder Anti-Gewalt-Erklärungen. Welche Maßnahmen halten Sie für wichtig, um die Situation zu verbessern?

 

Ulrich Wagner: Über das Thema „unmittelbare Bestrafung von überführten Gewalttätern“ durch die Gerichte sprachen wir schon. Langfristig wirksamer und kostengünstiger als Strafverfolgung und Sanktionierung ist Prävention, die Menschen dazu bringt, freiwillig und aus Überzeugung soziale Normen einzuhalten und sich gewaltfrei zu verhalten.

 

Dazu eignen sich beispielsweise Konfliktbewältigungstrainings in den Schulen oder Anti-Aggressionstrainings für junge Männer – auch für bereits überführte Straftäter im Strafvollzug. Das Problem: Solche Trainings in Schulen und Berufsschulen sind oft zeitlich befristet. Auch müssen die Angebote besser verknüpft werden, beispielsweise auch durch Sportvereine oder Maßnahmen des Jugendamtes oder freier Träger begleitet werden.

 

Darüber hinaus müssen wir Prävention noch breiter anlegen. Wenn die beschriebenen merkwürdigen Gewaltausbrüche gegen Rettungskräfte, Feuerwehr und Polizei darauf zurückgehen, dass die Täter in unsere Gesellschaft zu wenig eingebunden sind und Normen zur Gewaltfreiheit nicht verstehen oder nicht akzeptieren wollen, müssen wir für diese Menschen Partizipationsangebote machen, die sie verlieren, weil sie sich abweichend verhalten. Menschen, die keine laute Stimme haben oder viel Geld oder die, die aus anderen Gründen nicht dazugehören, müssen in die Gemeinschaft miteinbezogen werden. Auch sie müssen den Eindruck haben, zum Beispiel an der kommunalen Entwicklung und der des eigenen Umfelds mitbeteiligt zu. Das wird eine wichtige Aufgabe der kommunalen Entwicklungsplanung werden. Ich nenne das „Prävention durch Partizipation“.

 

Zum Beispiel?

 

Ulrich Wagner: Ich komme gerade aus einer Konferenz, in der so etwas diskutiert wird: Wie kann man kommunales Konfliktmanagement gestalten, ohne dass die Konflikte eskalieren? Da gibt es Möglichkeiten. Wie kann man Platzgestaltungen in Angriff nehmen, so dass junge Leute etwas davon haben, ohne dass es den Anwohnern auf den Wecker gehen muss, weil es nachts um vier Uhr noch laut ist? Solche Möglichkeiten zur Teilhabe brauchen wir.

 

Weitere Ideen?

 

Ulrich Wagner: Zum Dritten kann man sicherlich auch durch Aus- und Fortbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Öffentlichen Dienst etwas erreichen. Indem diese noch viel stärker lernen sich konfliktdeeskalierend zu verhalten. Ich weiß, dass es eine merkwürdige Forderung ist, dem Opfer die Pflicht anzudienen, die Situation zu deeskalieren. Aber ich sehe darin Potenzial. Wie kann man damit umgehen, wenn im Sozialamt der ablehnend beschiedene Empfänger lauter und immer lauter wird?

 

Viele Beschäftigte können es sich in Anbetracht überquellender Schreibtische zeitlich gar nicht einrichten, zusätzlich solche Trainings zu besuchen. Auch finden sie zu selten statt.

 

Ulrich Wagner: Natürlich schränkt Überlastung die Freiräume für solche Trainings drastisch ein. Und die Überlastung ist auch in anderer Hinsicht ein Problem: Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ämtern nur kurz angebunden sind, um einen Fall zu bearbeiten, dann ist das natürlich für Kunden nicht spaßig und erhöht das Konfliktpotenzial. Es trägt zu Eskalation bei.

 

Teil 1 des Interviews

 

Zur Person:
Ulrich Wagner gehört zu den Gewaltexperten in Deutschland. Er ist Sozialpsychologe und Seniorprofessor an der Philipps-Universität Marburg. Wagner forscht in Themenbereichen wie Intergruppenkonflikte, Aggression und Gewalt und ist als Präventionsexperte und Gutachter deutschlandweit tätig.

 

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