22.08.2023 | Bestandsaufnahme

„Wenn mehr Personal da wäre, wäre das hilfreich“

Ordnungskräfte müssen Kampfsport trainieren, Beschäftigte in Bürgerbüros jederzeit auf Angriffe von Bürgerinnen und Bürger vorbereitet sein: Es läuft gehörig etwas schief. Dazu, was jetzt passieren muss, äußert sich Nicole Schorn im ZDF-Mittagsmagazin.

 

Immer neue Studien dokumentieren die zunehmende Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst. Laut einer aktuellen Umfrage des Deutschen Beamtenbundes (dbb) erlebt durchschnittlich die Hälfte der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst Übergriffe. In manchen Berufen liegt diese Zahl deutlich darüber. Bei den Beschäftigten der Polizei sind es 64 Prozent, 60 Prozent der Rettungskräfte und Notärzte berichten davon aus eigener Erfahrung.

 

Fast täglich Aggression ausgesetzt

 

Wie das konkret aussehen kann, erlebten Rettungssanitäterinnen und -sanitäter in der Silvesternacht: Sie wurden in einen Hinterhalt gelockt und angegriffen. In Aachen trainieren Beschäftigte des Ordnungsamtes gezielt, wie sie sich gegen Bürgerübergriffe zur Wehr setzen können. Es scheint, als befinde man sich an der Front und nicht im Kontakt mit ratsuchenden Bürgerinnen und Bürgern.

 

Nicole Schorn, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw) kennt das Problem. Sie hat selbst im Bürgeramt gearbeitet und berichtet im ZDF-Mittagsmagazin (ab Minute 15:37), was sie dort erlebt hat: „Mir wurden Sachen ins Gesicht geschmissen; ich wurde fast täglich beleidigt.“ Bisweilen fliegen auch Stühle, wenn es darum geht, sein Anliegen im Amt durchzusetzen.

 

Die Politik ist in der Pflicht

 

„Es wird zunehmend körperlicher“, sagt Schorn im Interview. Darum fordert sie von der Politik die verpflichtende Einführung von Schutz- und Gewaltkonzepten. „Jeder Übergriff muss verfolgt werden. Notfallmeldeanlagen müssen bei den Verwaltungen eingerichtet werden“, bringt Schorn es im ZDF auf den Punkt. Die Politik sei in der Pflicht, die Gesetzeslage dahingehend zu verändern.

 

Zur Entschärfung der Lage sei neben Präventionstrainings dringend nötig, das Bild des Öffentlichen Dienstes in der Öffentlichkeit zu verbessern. „Wir brauchen mehr Personal“, sagt Schorn. Das sei notwendig, um die Leistung der Behörden zu verbessern. Genau diese wird von Bürgerinnen und Bürgern nämlich kritisch wahrgenommen, zeigt die aktuelle forsa-Umfrage im Auftrag des dbb.

 

Den Daten nach halten 69 Prozent der Befragten den Staat angesichts der Fülle seiner Aufgaben und Probleme für überfordert. „Lediglich die Anhänger der Grünen sehen mit einer knappen Mehrheit den Staat derzeit noch in der Lage, mit den vielfältigen Aufgaben zurechtzukommen“, heißt es im Bericht. Das Problem zeigt sich dann in den Behörden: „Die Beschäftigten bekommen es als erste ab“, sagt Schorn. Sie stehen stellvertretend für den Staat. Sind Termine nicht zeitnah möglich oder dauert die Bearbeitung eines Antrags zu lange, bekommen sie den Frust ab.

 

Personalaufstockung würde schneller Terminvergabe möglich machen

 

Welche Maßnahmen könnten das verändern und das Vertrauen in den Staat wiederherstellen? „Wenn die Bürger merken, dass mehr Personal da ist, man schneller Termine bekommt und die Anfragen schneller beantwortet werden können – das wäre schon hilfreich“, sagt Schorn. Auch moniert sie die stockende Digitalisierung im Öffentlichen Dienst. „Dort Mittel – wie öffentlich angekündigt – zu streichen, wäre für uns ein riesiger Verlust“, sagt sie.

 

Im Blick hat die dbb jugend nrw auch, dass die Bearbeitungszeit von Anzeigen nach Übergriffen auf Beschäftigte zu lange dauert. Wichtig sei die Konsequenz auf den Fuß. Oft aber ziehen sich Verfahren derart lange, dass das eigentliche Ereignis schon verblasst sei. Ende August will die dbb jugend nrw das im Gespräch mit NRW-Justizminister Benjamin Limbach zur Sprache bringen. „Wir haben klar vor Augen, was sich verbessern muss und werden diesen Anliegen folgen“, sagt Schorn.

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