22.03.2023 | Symposien

Innenminister: „Sie bleiben dran und quatschen nicht nur!“

Beschäftigte im Öffentlichen Dienst bekommen ihre eigene Todesanzeige zugeschickt, es fliegen Gullideckel auf Polizisten, Klinikbeschäftigte werden bespuckt. „Das darf und will ich nicht hinnehmen“, kommentiert NRW-Innenminister Reul auf der 9. Sicherheitskonferenz der dbb jugend nrw. Wie der Innenminister den Problemen unaufhörlich steigenden Übergriffszahlen begegnen will, machte er bei dem Treffen in Düsseldorf deutlich.

 

„Ich komme heute gerne zu Ihnen, weil Sie dran bleiben und nicht nur quatschen“, mit diesen Worten begrüßt NRW-Innenminister Herbert Reul am Wochenende die Mitglieder der Deutschen Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw). Diese waren aus allen Ecken des Bundeslandes und sogar – wie die stellvertretende Bundesjugendleiterin Sandra Heisig – aus Berlin angereist. Nicht ohne Grund: Noch heute ist das Anliegen der jungen Beschäftigten nach mehr Schutz und Sicherheit an ihren Arbeitsplätzen in Kliniken, Jobcentern oder Finanzbehörden ebenso drängend wie zur ersten Sicherheitskonferenz im Jahr 2015.

 

9.600 Angriffe zählt die gerade eben erschienene Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) allein auf Einsatz- und Rettungskräfte in NRW. Ein Zehnjahreshoch. Auch gegen Beschäftigte anderer Bereiche des Öffentlichen Dienstes nehmen Hass und Gewalt immer weiter zu: In Krankenhäusern kommt es immer öfter zu gefährlichen, lebensbedrohlichen Angriffen auf das Klinikpersonal. „Selbst Kollegen und Kolleginnen in den Bürgerbüros benötigen inzwischen Schulungen in Selbstschutz“, sagt Susanne Aumann, Vorsitzende der Deutschen Beamtenbund-Jugend.

 

Innenminister schockiert über geringe Anzeigenzahl

 

In Summe hat ein Viertel der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst persönlich schon einen Übergriff erlebt, wie aus einer von Innenminister Reul zitierten Studie des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung in Speyer hervorgeht. Das jedoch sei, wie Aumann betont, nur das Hellfeld. Denn lange nicht jeder Übergriff werde gemeldet.

 

Denn was man im bundesweiten Forschungsprojekt AMBOSafe herausfand: Sieben von zehn Übergriffsfällen werden nicht angezeigt. „Dieses Ergebnis macht mich fassungslos“, so der Minister wörtlich. „Diese Menschen dienen der Gesellschaft, dem Staat und diesem Land. Sie übernehmen Verantwortung für andere Menschen.“ Es sei eigentlich eine Selbstverständlichkeit, seiner Arbeit unbeschadet nachgehen zu können. Doch in manchen Bereichen klingt es immer noch durch, es gehöre in gewisser Weise zum Job, sich anpöbeln oder angreifen zu lassen.

 

Hinzu kommt: In einem Viertel der Behörden, die an einer Studie des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung in Speyer teilnahmen, werden Übergriffe nicht einmal dokumentiert. In den Kommunen sind dies sogar 39 Prozent.

 

Werteverbundenheit lässt sich nicht verordnen

 

Sinkende Hemmschwellen und mangelnde Wertschätzung sind an der Tagesordnung. Eine der zahlreichen Ursachen: „In Zeiten von wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Einwanderung beobachte man, dass der Normenkonflikt größer wird, und dass sich Menschen außerhalb der Gesellschaft fühlen“, sagt Reul. Zu ähnlicher Einschätzung kommt auch Gewaltforscher Ulrich Wagner im Gespräch mit der dbb jugend nrw. Dass sich jedoch Menschen an Regeln halten und Werte mittragen, könne man nicht verordnen. „Dafür müssen wir Zustimmung und Akzeptanz organisieren“, so der Innenminister.

 

Neben Mitbeteiligung und dem Ringen um Akzeptanz allgemeiner Werte ist es aus Sicht des Innenministers jedoch auch wichtig, präventiv tätig zu werden. Einen Baustein dafür habe die Landesregierung unter anderem durch das Präventionsnetzwerk „#sicherimDienst“ geleistet, betont Aumann. Es liefere inzwischen landesweit Ideen und zahlreiche Praxisbeispiele dafür, wie man Arbeitsplätze und Abläufe konkret sicherer gestalten könnte. Für die Beschäftigten sei es wichtig, dass solche Angebote langfristig und nachhaltig gefördert werden.

 

Schwarmwissen sollte genutzt werden

 

„Ich finde den blauen Brief der Stadt Wuppertal toll“, sagt Reul. Dieser wird an Bürger versandt, die durch auffälliges Verhalten in den Behörden sichtbar wurden.

 

Über das inzwischen auf über 1000 Mitglieder aus über 350 Behörden angewachsenen Präventionsnetzwerk werde es möglich, Schwarmintelligenz zu nutzen und Best Practice-Beispiele aufzuspüren, wie Aumann betont. Einig zeigten sich Aumann und Innenminister darin, dass eine solche Netzwerk- und Präventionsarbeit wichtig sei. „Wir brauchen über ein solches Netzwerk hilfreiche Tipps für jeden“, so der Innenminister.

 

Daneben sei jedoch auch die Strafverfolgung unerlässlich. Besonders gut funktioniere das dort, wo Sonderdezernate eingerichtet seien, die sich spezialisiert mit solchen Übergriffen befassen.

 

Unterstützung durch Minister: „Machen Sie es öffentlich!“

 

Zu Problemen wie beispielsweise denen von den Mitgliedern vorgetragenen in den Kliniken, rät Reul: „Machen Sie es öffentlich! Ich habe das bislang noch nicht so gesehen“ und empfahl daneben auch den Austausch mit den jeweils zuständigen Ministerien. Er werde die Anliegen weitertragen.

 

„Als wir unsere Kampagne ‚Gefahrenzone Öffentlicher Dienst‘ auf www.angegriffen.info im Jahr 2015 starteten, hätte niemand gedacht, dass wir heute noch genau wie damals an dieser Sache dran sind. Aber wir müssen es bleiben und diese Arbeit fortsetzen“, stellt Aumann heraus. Aus diesem Grund seien weitere Gespräche mit der Politik geplant. „Das bleibt genauso, wie der Innenminister es beobachtet hat: Wir quatschen nicht nur, sondern bleiben dran, packen an und denken in Lösungen“, sagt Aumann.

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